Anforderungen an Führungskräfte

Wozu brauche ich einen Chef? – Wenn Google Google googelt

05/2014 Peter Siwon: Gerade in der Software- und IT-Branche entwickeln sich neue Formen der Organisation. Dabei werden klassische Führungsmodelle auf den Prüfstand gestellt und das Rollenverständnis von Führungskräften kritisch beleuchtet. Wozu brauchen hochqualifizierte Spezialisten überhaupt Chefs? Würde es nicht auch mit kollegialer Selbstorganisation funktionieren? Die Frage stellte sich auch Google.

Die Frage stellte sich auch Google und klopfte die Hierarchie so flach wie möglich. Unter anderem wurden Manager in der Technik abgeschafft. Doch wie so oft merkt man erst, was etwas wert ist, wenn man es nicht mehr hat. So ging es auch Googles Top-Management, das sich nun mit all den zwischenmenschlichen und organisatorischen Aspekten der Basis konfrontiert sah. Es stand vor Herausforderungen, deren Lösung die Kenntnis der Individuen und ihrer Arbeitssituationen erfordern. Kurz: Zu viele Aufgaben und zu wenig Nähe. Diese Erfahrung veranlasst Google dazu, das Experiment zu stoppen und die aufgelösten Managementebenen wieder zu installieren. Allerdings soll durch eine Teamgröße von ca. 30 Leuten sicher gestellt werden, dass keine Zeit für Mikro-Management oder Einmischung in fachliche Belange bleibt. Dabei wird die Beziehung von Managern und Mitarbeitern weniger im Sinne von Oben und Unten, sondern mehr im Sinne verschiedener Spezialisten auf Augenhöhe gesehen.

Um herauszufinden, welchen Wert Manager für das Wohlbefinden und die Produktivität haben, tat der Suchmaschinenprimus das, was er am besten kann: Daten sammeln, auswerten und die Fakten sprechen zu lassen. Ein mehrjähriges Forschungsprojekt wurde gestartet. Es stellte sich heraus, dass die Managementqualität zu den wichtigsten Kriterien der Mitarbeiter gehört, einem Unternehmen treu zu bleiben. Bereits kleine Steigerungen der Managementqualität sind bedeutsam in der Wirkung. Nun stellte sich die Frage, welche Qualitäten eine besonders positive Wirkung auf die Mitarbeiter  ausübten. Unter anderem wurden aus den gewonnenen Daten folgende wesentliche Merkmale herausdestilliert: Weiterentwicklung und Motivation der Mitarbeiter, klare Kommunikation von Strategien und Zielen, die Beseitigung von Hindernissen, Vermeidung von Mikromanagement, Vertrauen zu den Mitarbeitern, Loyalität mit dem Team, Gewährung von Freiräumen, Coaching von Mitarbeitern. Die richtige Balance zwischen Fordern und Fördern der Mitarbeiter im Kontext einer offenen, wertschätzenden Mitarbeiter-Manager-Beziehung wurde nachweislich als bedeutenden Erfolgsfaktor identifiziert. Diese Ergebnisse flossen in gezielte Informations-, Weiterbildungs-, Beurteilungs- und Coachingmaßnahmen ein.

Fazit: Führungskräfte sind auch in Top-Teams unverzichtbar. Allerdings besteht ihre Aufgabe nicht mehr darin fachliche Anweisungen zu geben, sondern den Fachexperten ein optimales Umfeld für effektive Arbeit und bestmögliche Entwicklung ihrer Potentiale zu schaffen. Noch gibt es viel darüber zu lernen, wie Führungskräfte dies bestmöglich leisten können. Google wird jedenfalls fleißig im eigenen Laden weitergoogeln.

Quelle: David A. Garvin, Wie die Ingenieure bei GOOGLE lernten, Manager zu lieben, Harvard Business Manager, März 2014

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Projektleitung

Neue Führungsmodelle

Bild: Julien Tromeur Fotolia
Ist die Zeit der Superchefs vorbei? Bild: Julien Tromeur Fotolia

Der Artikel „Macht in Bewegung – Führen ohne Hierarchie“ von Andree Martens (managerSeminare Juni 2015) beleuchtet alternative Formen der Macht in Organisationen. Derzeit bauen die meisten Organisationen auf das Prinzip der strukturellen Macht. Hierarchische Systeme haben sich über viele Jahrhunderte durchgesetzt. Allerdings entwickeln sich vor allem in sehr dynamischen Umfeldern, in dem der Erfolg durch die Zusammenarbeit hochspezialisierter und -qualifizierter Menschen bestimmt ist, mehr und mehr alternative Modelle wie Scrum, Canvas, Design Thinking, Holocracy.

In diesem Zusammenhang ist die Metapher der Erhaltung der Machtenergie (analog zum Prinzip der Energieerhaltung) ein interessantes Denkmodell: In (geschlossenen) sozialen Systemen ist die Macht analog zur Energie eine konstante Größe. Sie kann umverteilt oder umgeformt werden, bleibt allerdings in Summe erhalten. Die Frage ist nur inwieweit die verfügbare Machtenergie in den Dienst gemeinsamer oder egoistischer Ziele gestellt wird. Strukturelle Macht (z.B. in Form einer starren Hierarchie) begünstigt Eigenschaften, die den Ansprüchen sehr komplexer Aufgabenstellungen nicht gerecht werden: Die aktive und eigenverantwortliche Mitgestaltung wird durch solch unflexible Machtstrukturen behindert. Es geht mehr darum dem Mächtigen zu gefallen als das Sinnvolle zu tun. Im Gegensatz dazu wird heute mehr und mehr hochgradig vernetzte intelligente Interaktion benötigt, in der jede Person situationsabhängig seine Beitrag zur Führungsarbeit leistet. Im freien Spiel der Kräfte bildet sich allerdings sehr schnell das archaische Machtgefüge nach dem Recht des Stärkeren heraus.

Wir können Machtausübung nicht verhindern, sondern es geht darum Macht so zu verteilen und umzuformen, dass sie im Sinne gemeinsamer Ziele wirksam wird. In diesem Zusammenhang lassen sich alternativ oder ergänzend zur strukturellen Macht folgende Machtformen identifizieren: Informationsmacht, methodische Macht und Identifikationsmacht. Diese Macht kann sehr unterschiedlich in einem Team verteilt sein. Da ist der Spezialist, der bei bestimmten technologischen Themen die Führung übernimmt. Da ist der Projektleiter der durch methodisches Wissen Konflikte löst und Entscheidungsprozesse moderiert. Da ist der Visionär, der seine Kollegen für ein Projekt begeistern kann. Bei rein strukturellen Machtgefügen besteht die Gefahr, dass fachliche Genialität, methodische Kompetenz und Identifikationsbereitschaft verkümmern, wenn der Machthaber diese Felder nicht bedienen kann und nicht bereit ist Macht abzugeben. Und das ist bei hoher Komplexität und Dynamik sehr wahrscheinlich. Neue Ansätze wie fluide Organisationen stellen sich diesem Problem, indem sie beispielsweise kontextabhängig Verantwortung, Entscheidungsbefugnisse und Weisungsbefugnisse anpassen. Der Fachexperte übernimmt in seinem Fachgebiet das Zepter. Bei Problemlösungsprozessen übernimmt der Methodenspezialist als Moderator, usw. Voraussetzung ist ein hoher persönlicher Reifegrad der Beteiligten, der es erlaubt zwischen Situation und Person zu trennen und Machtansprüche und Statusstreben einem gemeinsamen Ziel und einem höherem Sinn unter zu ordnen (sozialisiertes statt personalisiertes Machtmotiv, sinnvolle Macht statt Macht als Selbstzweck). Es geht darum, verantwortungsvolle Machtverteilung und freiwillige Gefolgschaft in einer Gemeinschaft von reifen Menschen zu entwickeln, die Status- und Machtstreben einem gemeinsamen Sinnstreben unterordnen.
Mein Kommentar: Die hier beschriebenen Modelle erfordern eine hohe Reife gerade bei ausgeprägten Alpha-Tieren. Ich würde sie als Weisheit bezeichnen. Ich denke, dass es schon immer Führungskräfte gab, die bereit waren Macht mit Ihren Mitarbeitern zu teilen. Doch leider haben traditionelle Führungsstrukturen oft mehr die gefördert, die ihren ungeteilten Machtanspruch mit allen Mitteln durchzusetzen wussten statt die, die bereit waren Macht zu teilen.

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