Prokrastination

Was du Morgen kannst besorgen, …

… das verschiebe doch lieber auf heute

Rebecca Siwon (Bild: fotoa art Elisabeth Wiesner)
Autorin Rebecca Siwon (Bild: foto art Elisabeth Wiesner)

2015 Mai, Gastbeitrag von Rebecca Siwon: Erwischt! Welchen Aufgaben entgehen Sie gerade, indem Sie diesen Artikel lesen? Es ist ja nicht so, dass Sie nichts Sinnvolles machen. Nur erledigen Sie eben nicht Ihre dringendste Aufgabe. Wie wir uns das Leben oft unnötig schwer machen, indem wir Aufgaben irrational aufschieben, welche Folgen das für uns haben kann und vor allem wie wir dem entgegen wirken können, möchte ich Ihnen im Folgenden näher bringen.

Weitere Tipps: Fordern Sie unsere Tipps zum Thema per Email mit dem Stichwort „Prokrastination“ an: info(at)systemisches-projektmanagement.info.

Menschen verhalten sich nicht so rational, wie es Entscheidungs- und Spieltheoretiker oft annehmen. Wir verhalten uns nicht einmal so rational  wie wir es von uns selbst glauben. Einer der vielen Wege, wie wir uns selbst beschummeln ist das, was Experten Prokrastination nennen. Der Begriff beschreibt das irrationale Aufschieben einer geplanten Tätigkeit. Es gibt keine äußeren Umstände, die uns von der Aufgabe abhalten. Prokrastination hat auch keinen funktionalen Aspekt, wie das Warten auf neue Ressourcen oder das gezielte Nehmen von Auszeiten, um den Kopf für die bevorstehende Aufgabe frei zu haben. Wer prokrastiniert, hat die Mittel und Möglichkeit, eine Aufgabe zu beginnen, aber schiebt sie dennoch vor sich her, bekommt ein schlechtes Gewissen und fühlt sich damit unwohl. Hinzu kommt die Sorge, die Aufgabe nicht (mehr) bewältigen zu können. Studien ergaben, dass Angst und Sorge eng mit Prokrastination zusammenhängen. Auch ein erhöhter psychischer Leidensdruck und gesteigertes Stresserleben, sowie Burnout und Depression stehen in Zusammenhang mit Prokrastination.
Wie schnell Prokrastination zu einem Teufelskreis aus Sorgen und immer weiterem Aufschieben führt, konnte ich vor kurzem selbst erfahren. Ich hatte ein großes Projekt vor mir, das für meine berufliche Karriere entscheidend war. Jeden Tag nahm ich mir fest vor, es so bald wie möglich in Angriff zu nehmen. Allerdings vielen mir jeden Morgen etliche, oft banale Aufgaben ein, die ich erledigte. Hierzu gehörten der Wohnungsputz, Mails abarbeiten und andere kleinere Aufgaben in der Arbeit. Das Projekt geisterte die ganze Zeit in meinem Hinterkopf herum. Der Leidensdruck sorgte dafür, dass ich mir aus schlechtem Gewissen kaum Freizeitaktivitäten gönnte, die mein Stressempfinden sicherlich gemildert hätten.  Dennoch prokrastinierte ich aus Angst, bei meinem Projekt zu scheitern, „munter“ weiter und lenkte mich durch die „unwichtigen“ Tätigkeiten ab.
Warum prokrastinieren wir eigentlich, wo es doch einen Leidensdruck erzeugt?
Ein Grund ist, dass manche Personen gerne unter dem Druck der sich nähernden Deadline stehen. So erhalten sie einen „Kick“ durch das Risiko oder sie können es schaffen, „Flow“-Zustände von äußerster Produktivität und Konzentration zu erreichen, die Glücksgefühle und Zufriedenheit auslösen. Allerdings ist das Eintreten der Flow-Erlebnisse nicht immer gegeben. Schnell wachsen Aufgaben über den Kopf, es kommen unerwartete Zusatzaufgaben hinzu, oder der Arbeitsaufwand wird unterschätzt. Wird der Druck zu groß, macht es das immer schwerer, sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. Eine weitere Ursache für Prokrastination ist, wie schon im Beispiel erwähnt, die Angst zu scheitern. Diese sorgt dafür, dass man oft erst gar nicht beginnt. Wir leben oft in dem Glauben, dass es besser ist, gar nichts zu tun. So schützt man sich vor Fehlern. Handeln bedeutet außerdem, auch Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen. Die Angst zu scheitern ist, einer Umfrage bei StudentInnen zufolge, vor allem bei Frauen ein häufiger Grund für Prokrastination. Männliche Studenten beschrieben eher Rebellion gegen Kontrolle und Risikosuche als Gründe. Insgesamt neigen Männer eher zu Prokrastination als Frauen, außerdem betrifft das Phänomen vor allem „white-collar worker“.
Der typische Prokrastinierer ist eher jung, ledig, männlich und lebt in einem Land, in dem Selbstdisziplin von geringer Bedeutung ist.  Zudem ist Prokrastination als Persönlichkeitseigenschaft unter anderem eng mit Gewissenhaftigkeit, Selbstvertrauen, Impulsivität und Perfektionismus verbunden. Nun muss ich allerdings diejenigen, die ihre Gene oder die ihrer Mitarbeiter als Ausrede benutzen möchten, enttäuschen. Persönlichkeit ist nur einer von vielen Faktoren, die Prokrastination bedingen. Es ist möglich, Aufgaben so zu gestalten, dass sie entweder Prokrastination oder Produktivität fördern. Wer dazu neigt, Aufgaben aufzuschieben, kann lernen sich selbst zu überlisten.
Ein relevantes Charakteristikum einer Aufgabe ist der Zeitraum, in dem sie erledigt werden muss. Die Tendenz, etwas aufzuschieben steigt, je mehr Zeit wir für die Aufgabe haben. Das kann sogar bei Tätigkeiten der Fall sein, die wir gerne machen. Schenken Sie einer Person einen Gutschein, z.B. für eine tolle Reise, den sie innerhalb von einem Monat einlösen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Reise antritt ist deutlich höher, wenn Sie ein Zeitlimit festlegen.
Auch die zeitliche Abfolge von Belohnungen und Bestrafungen spielt eine entscheidende Rolle. Wir ziehen eine kleine, unmittelbare Belohnung einer größeren vor, oder nehmen für diese sogar langfristige Schäden in Kauf (liebe Raucher, Sie dürfen sich angesprochen fühlen!). Der Erfolg der schnell abgearbeiteten Mails wird dem stundenlangen formulieren eines Artikels vorgezogen. Eine weitere Eigenschaft prokrastinierter Aufgaben liegt auf der Hand: sie sind unliebsam und uninteressant. Macht eine Aufgabe keinen Spaß, wird sie aufgeschoben oder vermieden. Das klingt banal, ist aber ein wichtiger Punkt, um Prokrastination entgegen zu wirken.
Ich fasse zusammen, was Sie auf keinen Fall tun sollten: einer Person, die Angst vor Versagen hat oder den Wettlauf gegen die Zeit liebt und schon die ersten Anzeichen von Burnout zeigt, eine unliebsame, sehr umfangreiche Aufgabe auftragen, die sie irgendwann in der nächsten Zeit erledigen soll.
Was können wir also tun, um Prokrastination zu verhindern?
In der Regel ist es hilfreich, sich an außenstehende Experten zu wenden, da wir selbst oft zu sehr in unseren Gewohnheiten gefangen sind, um sie selbständig zu ändern. Allerdings gibt es auch praktische Tipps, die Sie bereits sofort anwenden können. Gerne senden wir Ihnen diese Tipps zu. Senden Sie uns, falls Sie Interesse haben eine Email mit dem Stichwort „Prokrastination“ an info@die-menschliche-Seite.de.
Falls Sie jetzt auch von sich die ein- oder andere Situation erkannt haben, in der Sie zu Prokrastination neigen, kann ich Ihnen Mut machen. Ein Verhalten bei sich zu erkennen ist die Voraussetzung dafür, es ändern zu können. Auf zu neuen Taten!

Autorin: Rebecca S. studiert Psychologie an der Universität Wien und arbeitet derzeit an Ihrer Diplomarbeit, die sich mit Ressourcen und Belastungen im Arbeitskontext beschäftigt. Neben ihrem Studium ist sie als Freiberuflerin u.a. an Forschungsprojekten der Universität Wien beteiligt. In diesem Zusammenhang befasste sie sich ausführlich mit dem Thema Prokrastination.