Lernagilität

… hat leider seltenheitswert

In dem Artikel „70-20-10-Wunschdenken“ von Prof. Dr. Axel Koch ( wirtschaft+weiterbildung 05_15)  wird die populäre 70-20-10 Bildungsformel kritisch unter die Lupe genommen. Denn sie wird seiner Meinung nach unzulässig interpretiert. Sie besagt, dass sich Lernerkenntnisse bei erfolgreichen und effektiven Führungskräften wie folgt zusammensetzen: 70% durch anspruchsvolle Jobs, 20% durch andere Leute, besonders dem eigenen Chef, 10% durch Schulungen und Lektüre. Unterm Strich kommen so 90% informelles Lernen zusammen.

Diese Formel wird mittlerweile gerne auch auf andere Personengruppen angewandt. Damit erschließt sich ein erhebliches Einsparungspotential, wenn die theoretisch noch verbleibenden 10% für formales Lernen über immer intelligentere online und blended Learning erledigt werden. Das Heilsversprechen: Kosten sparen und gleichzeitig individuelleres Lernen bedarfsgerecht (learning on demand) ermöglichen. Unternehmen und Chefs brauchen nur noch die geeignete Lernplattform bereitstellen und der Mitarbeiter kümmert sich um das erforderliche Wissen selbst. Prof. Koch (wie ich übrigens auch) glaubt nicht, dass dieser Ansatz funktioniert. Seine These: Dieser Ansatz erfordert lernagile Menschen, die sich aktiv nach persönlichen Wachstumschancen suchen. Laut einer Studie von Michael Lombardo sind dies aber nur 10% der Belegschaft in größeren Firmen. 60% sind lerntechnisch eher passiv und die verbleibenden 30% haben mit Lernen gar nichts am Hut. Damit läuft der Ansatz des selbstgesteuerten Lernens weitgehend ins Leere. Der Autor geht davon aus, dass etwa 20% der Menschen eher lernagil, 30% sind lernwillig und benötigen noch wirksame Lern- und Veränderungstechniken, 30% fehlt es sowohl an der Fähigkeit als auch an der Bereitschaft aus eigenem Antrieb zu Lernen, 20% sind gehandikapt was ihr Lernpotential betrifft. Diese Zahlen ergeben sich dadurch, dass die Annahme einer Normalverteilung naheliegend ist. Das heißt, dass bei der Mehrheit der Menschen eine Unterstützung durch das Unternehmen bzw. die Führungskräfte nötig ist, um die Fähigkeit und die Bereitschaft zum Lernen weiter zu entwickeln.
Mein Kommentar: Leider wurde vielen Menschen die Freude am lernen schon sehr bald durch Erziehung, Schule und Studium vermiest oder es fehlten die entsprechenden Anreize. Nicht selten ist die betriebliche Weiterbildung nicht viel besser. Es geht also nicht nur darum, Informationen und Wissen anzubieten und zu hoffen, dass die Fähigkeit und Bereitschaft um Lernen von den Mitarbeitern selbst kommt. Wir müssen viel tiefer ansetzen und den Menschen die Chance geben, die Lust am Lernen und die Fähigkeit zum Lernerfolg wieder zu finden, die sie irgendwo auf ihrem Lebensweg verloren haben. Das wäre auf Dauer die nachhaltigste und preiswerteste Lösung. Leider fordern viele Chefs die billige Lösung, d.h. möglichst viel Informationen für wenig Aufwand. Wozu Übungen und all den methodischen Schnickschnack. online-Powerpointdruckbetankung muss es sein. Ich glaube, man braucht nicht viel Fantasie, um sich die Folgen dieser Ansicht auszumalen.

PSiwon-logo