11/2011 Peter Siwon: In einem Interview der Zeitschrift GEO stellte Frank Kirchner, Leiter des Robotics Innovation Center in Bremen seine Einschätzung des aktuellen Stands Künstlicher Intelligenz wieder. Ich habe für Sie einige Aussagen kurz sinngemäß zusammengefasst und kommentiert.

Werden Maschinen bald intelligenter sein als Menschen?
Nicht in absehbarer Zeit, auch wenn Computer auf Gebieten wie Schach bereits Teilerfolge erzielen, beruhen diese Erfolge (Deep Blue) darauf, dass schiere Rechenleistung und sehr spezielle Rechenverfahren auf ein sehr eng begrenztes Spezialgebiet angewendet werden.
Anmerkungen: Wenn man diesen Vergleich unter den Gesichtspunkten Energiebedarf, Raumbedarf und universeller Einsetzbarkeit relativieren würde, sähe der Erfolg allerdings eher bescheiden aus. Außerdem besitzt der Mensch eine ausgeprägte Fähigkeit, mit Wissenslücken und der hohen Variabilität seiner Umwelt zu leben, weil er sehr phantasievollen Assoziationen herstellen kann. So ist er beispielsweise in der Lage eine Katze auf einem Foto, einer groben Skizze oder einer verzerrten Karikatur zu erkennen, auch wenn sie nur teilweise zu sehen ist.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Hier gibt es 2 Denkrichtungen.
1. Starke KI-Hypothese: Eine Maschine ist in der Lage, wie ein Mensch zu denken und ein Selbstbewusstsein zu entwickeln.
2. Schwache KI-Hypothese: Maschinen sind in der Lage einzelne intelligente Funktionen in Vertretung des Menschen zu übernehmen, z.B. Mustererkennung, Suchprogramme oder Systeme (Autos, Computerprogramme), die Ihr Verhalten an den Bediener (sportlicher Fahrer, bevorzugte Funktionen) anpassen.
Anmerkungen: Derzeit wissen wir noch wenig darüber, wie sich menschliche Intelligenz in seiner Gänze beschreiben lässt und wie dieses Kunststück vom menschlichen Gehirn vollbracht wird. Deshalb fehlt ein brauchbarer Maßstab für die starke KI-Hypothese.
Ist die Hardware des Gehirns nicht grundsätzlich anders als die eines Computers?
Nein. Zwar arbeitet ein Computer digital und mit Mikrochips, aber im Prinzip tun sie das gleiche, denn jedes Element (Transistor bzw. Nervenzelle) erledigt einfache Funktionen, die sich von Rechnern nachbilden lassen.
Anmerkungen: Das sehe ich anders. Die Architektur eines Gehirns unterscheidet sich erheblich von der eines Computers, da es sich um ein extrem vernetztes System handelt. Die meisten Nervenzellen sind 10 000-fach mit anderen verbunden. Weitere Besonderheiten sind:
- Das neuronale Netzwerk übernimmt gleichzeitig die Funktionen von Programm-, Datenspeicher und CPU.
- Die Neuronen tauschen untereinander und mit allen anderen Körperzellen mit Hilfe von Proteinen wie Hormonen auch chemische Signale aus. Wir haben es mit einem „Rechenwerk“ zu tun, das gleichzeitig mit elektrischen und chemischen Kommunikationsmechanismen arbeitet.
- Die Fähigkeiten einer einzelnen Zelle übertreffen bereits die eines Computers. Welcher Computer ist in der Lage sich selbst aus einer seiner Zellen neu zu erschaffen?
- Ein weiterer Unterschied zwischen der Struktur von Gehirn und Computer besteht in der Flexibilität und Effizienz. Nervenzellen, die nicht benötigt werden, bilden sich zurück oder übernehmen neue Funktionen.
Hat sich Intelligenz und Selbstbewusstsein entwickelt, weil wir einen Körper und Körperempfindungen haben?
Die Körperlichkeit erlaubt die Wechselwirkung zwischen Umgebung und Körper aufgrund von Sensoren (Augen, Ohren, etc.) und Aktoren(Hände, Beine, etc.). Das ist eine wichtige Voraussetzung für menschliche Intelligenz. Derzeit gibt es Roboter mit vergleichsweise einfachen Fähigkeiten zur Verhaltenskorrektur als Reaktion auf eine sich verändernde Umgebung.
Anmerkungen: Intelligentes Verhalten entwickelt sich durch die vielfältige Wahrnehmung von Stimulationen der Außenwelt und der sich nach und nach optimierenden Reaktionen darauf. Die Intelligenz erfordert die Verbindung umfassender Wahrnehmungsfähigkeit und vielfältiger Reaktionsmöglichkeiten mithilfe eines lernfähigen und flexiblen Koordinationssystems (Nervensystem und Gehirn). Wandelnde Umgebungsbedingungen, körperliche Voraussetzungen, um auf diese Umgebung zu reagieren und einzuwirken, sowie die intellektuellen Fähigkeiten, die Umgebung zu beobachten und das Verhalten an immer neue Bedingungen anzupassen, stimulieren sich gegenseitig.
Quellen:
– Intelligenz, Begabung, Kreativität, GEOkompakt Nr. 28
– Peter Siwon, Die menschliche Seite des Projekterfolgs, Dpunkt-Verlag, 2010