Können wir uns auf unsere intuitive Menschenkenntnis verlassen?

Ergänzungen zum Buch „Die menschliche Seite des Projekterfolgs“ von Peter Siwon, dpunkt.verlag, 2010

Das Thema Neurologie, Psychologie und Projektmanagment ist ständig im Fluss. Damit Sie als Leser meiner Publikationen von meinen aktuellen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren können, habe ich das wichtigste und interessanteste auf dieser Website für Sie zusammengestellt.

Können wir uns auf unsere intuitive Menschenkenntnis verlassen?

07/2012, Peter Siwon: Wie gut steht es mit Ihrer Menschenkenntnis? Untersuchungen zeigen, dass wir uns hier auf unsere Intuition nur begrenzt verlassen können, da unsere Einschätzung der Mitmenschen verschiedenen verzerrenden Einflüssen unterworfen ist. Wer diese Effekte nicht kennt, neigt dazu seine Menschenkenntnis zu überschätzen. Diese Fehleinschätzung ist stark verknüpft mit unserem eigenen verzerrten Selbstbild.

Lange Zeit war die gängige Lehrmeinung, dass eine realistische Wahrnehmung unserer Umgebung normal sei. Man unterlag dem Irrglauben, dass geistige Gesundheit und objektives Weltbild Hand in Hand gehen. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass genau diese Illusion die in der Einleitung angedeuteten Phänomene der Wahrnehmungsverzerrung begünstigt. Betrachten wir diese Phänomene etwas genauer:

Positive Illusionen: Die meisten Menschen betrachten ihre Fähigkeiten als überdurchschnittlich, obwohl dies mathematisch unsinnig ist. Dazu gehört auch die Einschätzung der Fähigkeit andere Menschen einzuschätzen. Justin Kruger und David Dunning (Cornell University, 1999) zeigten, dass der Hang zurSelbstüberschätzung mit zunehmender Inkompetenz sogar ansteigt. Die Personen, die zum schlechtesten Viertel der Probanden gehörten, schätzten sich ebenso überdurchschnittlich ein, wie alle anderen. Die Personen aus dem besten Viertel dagegen neigten zu einer bescheideneren Darstellung Ihrer überdurchschnittlichen Leistung. Wie passt das zusammen? Eine Erklärung ist, dass die meisten Menschen eine gewisse Scheu davor haben, als Außenseiter einer Gruppe zu gelten. D.h. sie sehen sich einerseits gerne als attraktives und nützliches Mitglied einer Gemeinschaft. Andererseits wollen sie nicht als Streber oder Außenseiter gelten, da das mit dem Risiko einher geht, das Selbstbild anderer ins Wanken zu bringen und Neider auf den Plan zu rufen. Das Selbstbild positioniert sich meist überdurchschnittlich und vermeidet Extreme. Dieser Effekt geht Hand in Hand mit der Art und Weise, wie Menschen andere Menschen beurteilen. Die Leistungen, Fähigkeiten und Bedürfnisse der Mitmenschen werden eher geringer als objektiv richtig eingeschätzt.

Bestätigungsfehler: Das getroffene Urteil über unsere Mitmenschen (und uns selbst) führt zu einer veränderten Wahrnehmung. Das Gehirn filtert und bewertet alle Informationen im Sinne einer Bestätigung unserer Erwartungen. Das Hinterhältige dabei ist, dass wir uns damit auch in der Illusion bestätigen, gute Menschenkenner zu sein. „Ich habe es doch gleich gewusst, dass der nichts taugt.“ Man kann sich sehr gut ausmalen, welche fatale Wirkung Vorverurteilungen oder Gerüchte durch Dritte haben, die unsere Erwartungen manipulieren bevor wir einen Menschen selbst kennenlernen.

Rückschaufehler: Nachher ist man immer schlauer, heißt ein bekannter Spruch. Doch einschränkend sollte man ergänzen: Aber nicht so schlau, wie man glaubt. Denn leider neigen wir auch hier dazu, Tatsachen zugunsten des Erhalts unseres Selbstbilds hinzubiegen. Intuitiv rekonstruieren wir die Vergangenheit so, dass unsere Fehleinschätzungen geringer erscheinen oder gar nicht mehr erkennbar sind. So ermittelten Psychologen (Hartmut Blank, Volkhard Fischer, Edgar Erdfelder,, University oft Portsmouth) den Unterschied zwischen Prognosen zu Bundestags- und Landtagswahlen und der rückblickenden Darstellung dieser Einschätzung. In der Rückschau wurde die Prognose um durchschnittlich 10% geschönt. Dieser Effekt birgt die Gefahr, dass ironischer Weise v.a. unsere Einschätzungsgabe falsch einschätzen (I knew it all along- Effekt).

Fundamentaler Attributionsfehler: Das Gehirn macht sich die Welt einfacher als sie ist. Andernfalls wäre es oft nicht in der Lage rechtzeitig halbwegs brauchbare Entscheidungen zu treffen. Dies äußert sich u.a. darin, dass es die möglichen Einflüsse von Situation, Vorgeschichte und Umgebung auf das Verhalten unserer Mitmenschen teilweise vernachlässigt. Dies führt beispielsweise dazu, dass wir Menschen überschätzen, weil wir glückliche Umstände übersehen, oder unterschätzen, weil schwierige Randbedingungen  nicht berücksichtigt wurden.
Auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind in Bezug auf Attributionen einer näheren Betrachtung Wert. Während Frauen eher Geschehnisse auf ihre eigenen Handlungen zurückführen, sehen Männer eher die Ursache bei Anderen oder in den Umständen.

Tipps für die Projektarbeit: Für die Projektarbeit bedeutet das, dass Werkzeuge und Methoden, die uns dabei helfen, die tatsächlichen Fakten (Aufwand, Kosten, Qualität,…) zu erkennen, unerlässlich sind, um die Leistung und Fähigkeiten der beteiligten Personen realistischer einzuschätzen. Wir sollten uns dabei auf die Fakten konzentrieren, die für den Verlauf des Projekts relevant sind. Es ist immer hilfreich, das so gewonnene Menschenbild durch persönliche Gespräche vor allem mit den betroffenen Personen selbst zu überprüfen, um blinde Flecken zu erkennen und einseitige Verzerrungen zu korrigieren.

Quellen:
Gehirn und Geist, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH 4/2012
Peter Siwon, Die menschliche Seite des Projekterfolgs, dpunkt-Verlag 2010
Zimbardo, Philip G./ Richard J. Gerrig: Psychologie, Pearson Education, München, 2004

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