Faustregeln des Denkens

Ergänzungen zum Buch „Die menschliche Seite des Projekterfolgs“ von Peter Siwon, dpunkt.verlag, 2010

Das Thema Neurologie, Psychologie und Projektmanagment ist ständig im Fluss. Damit Sie als Leser meiner Publikationen von meinen aktuellen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren können, habe ich das wichtigste und interessanteste auf dieser Website für Sie zusammengestellt.

Faustregeln des Denkens

03/2011, Peter Siwon: Entscheidungen werden nicht zwangsläufig besser, wenn wir sehr viele Informationen zur Verfügung haben. Unser Gehirn hat im Laufe unseres Lebens einfache Heuristiken (Faustregeln) entwickelt, mit denen es mit unvollständigen Informationen recht brauchbare Entscheidungen treffen kann. Die Gründe für diesen Hang zu einfachen Faustregeln ist leicht einzusehen: Wir haben praktisch nie alle Informationen verfügbar. Wir haben selten Zeit, um alle Details zu überprüfen. Der Aufwand für mehr Information steht in keinem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen.

Das Erstaunliche ist, dass unser Gehirn eine Strategie entwickelt hat, Erlebnisse so auszuwerten, dass diese Faustregeln automatisch entstehen. Was mich ebenfalls sehr beeindruckt ist die Fähigkeit unseres Gehirns, diese Faustregeln ganz automatisch mit Erfolg einzusetzen. Unter bestimmten Umständen liefert eine Heuristik sogar bessere Ergebnisse als eine genaue Analyse. Dies kann bei komplexen Systemen mit zahlreichen Variablen der Fall sein. Hier tritt das sogenannte Overfitting-Problem auf. Es führt dazu, dass sich kleine Zufallsabweichungen unter Umständen zu erheblichen Fehlern aufsummieren können. Das bedeutet, dass viele mit kleinen Fehlern behaftete Informationen zu schlechteren Ergebnissen führen als eine gezielte Auswahl weniger Informationen. Damit sind Heuristiken oft unempfindlicher gegenüber diesen verfälschenden Einflüssen. Millionen Jahre Evolution kann sich nicht irren, zumindest was den statistische Erfolgquote betrifft.

Hier einige Beispiele, die meine Darstellungen im Buch ergänzen:

Wiedererkennungsheuristik: Das was uns bekannter ist, wird als bedeutender, größer, wertvoller eingeschätzt. »Welcher Berg ist höher – das Matterhorn oder der Piz Morteratsch?« Obwohl sie die genauen Gipfelhöhen nicht kennen, tippen die meisten Menschen auf das Matterhorn, weil sie diesen Namen kennen. Die Logik dahinter ist, dass wir intuitiv davon ausgehen, dass das bedeutendere oder größere Objekt mit hoher Wahrscheinlichkeit häufiger genannt wird und uns deshalb vertrauter ist. Sie erkennen das Phänomen auch daran, dass wir berühmte Personen für größer halten als sie es tatsächlich sind. Wussten Sie z.B. dass Mel Gibson und Phil Collins nur etwa 1,75 m groß sind.

Die Gefahr dabei ist, dass sich diese Heuristik durch geschickte Informationsstrategien täuschen lässt. Je öfter wir beispielsweise bestimmte Behauptungen hören oder Personen sehen, desto vertrauter und damit bedeutender erscheinen Sie uns. Wenn Teams oder Unternehmen nur im eigenen Saft schmoren, entstehen Monokulturen, die die eigenen Werte, Abläufe, Methoden, Prozesse, etc. überbewerten und Alternativen als unwichtig erachten.

Take the Best: Diese Faustregel funktioniert nach dem Prinzip: Vergleiche anhand des aussagekräftigsten Hinweises und wähle die bessere der Alternativen. Ignoriere alle weiteren Hinweise. Wenn noch keine eindeutige Entscheidung möglich ist,  wähle den nächstbesten Hinweis, usw. Die Kognitionspsychologen Gerd Gigerenzer und Daniel Goldstein wiesen mit Computersimulationen nach, dass diese Heuristik bei bestimmten Aufgaben schneller und besser zum Ziel kommt als aufwändige Analysen und Gewichtungen vieler Kriterien. Beispielsweise sollte zwischen zwei deutschen Städten diejenige mit der größeren Einwohnerzahl gewählt werden. Zu jeder Gemeinde erhielten die Programme neun Hinweise wie: „Handelt es sich um eine Landeshauptstadt?“ Oder: „Ist sie Sitz einer Universität?“ Die Take The Best Heuristik trat gegen Programme an, die alle Hinweise bewerteten. Ergebnis: Zwischen den Antworten der Heuristik und denen der aufwändigeren Programme bestand praktisch kein Unterschied. Dafür benötigte Take-the-best aber deutlich weniger Rechenzeit und auch weniger Information.

Gefahr: Die Heuristik funktioniert natürlich nur dann so gut, wenn die wichtigsten Kriterien auch verlässlich sind. Andernfalls haben komplexere Auswertungen den Vorteil, dass sie die Wirkung fehlerhafte Kriterien auf das Ergebnis abmildern.

1/N Heuristik: Diese Faustregel führt dazu, dass wir intuitiv häufig dazu neigen das Risiko zu verteilen, weil die Erfahrung zeigt, dass dies sinnvoll ist. Der Betriebswirtschaftler Victor DeMiguel zeigte 2009 zusammen mit Kollegen von der London Business School, dass komplexe Anlagestrategien nicht zwangsläufig  besser sind als die denkbar einfachste Verteilung, bei der jeder Aktie der gleiche Betrag zukommt (1/N-Heuristik). Ergebnis: Bei wenigen Aktien sind die komplexen Strategien nur geringfügig besser. Bei komplexen Aktienpaketen war 1/N besser. Sie fanden heraus, dass die komplexen Strategien schlichtweg über zu wenig brauchbare Daten verfügen. Eine originelle Bestätigung lieferte die »Chicago Sun-Times« mit einem Affen der zufällig Aktien auswählte. Sein Aktienpaket war über Jahre  erfolgreicher als der renommierte Fonds von Legg Mason. Das heißt einfache Faustregeln sind bei Informationsmangel zuverlässiger. Leider ist Informationsmangel die Regel und nicht die Ausnahme.

Fazit für die Projektarbeit:

Der Hang unseres Gehirns Heuristiken anzuwenden, wenn wenig Zeit ist oder zu wenig Informationen zur Verfügung stehen, ist schlichtweg eine Überlebensstrategie, die sich über Jahrmillionen empirisch herausgebildet hat. Sie besagt, dass es besser ist mit wenigen wesentlichen Informationen schnell eine brauchbare Entscheidung zu treffen als mit sehr vielen möglicherweise ungenauen Informationen langsam und trotzdem fehlerbehaftet. Das bedeutet, dass es bei der Entscheidungsfindung von großer Bedeutung ist, die Verlässlichkeit und Genauigkeit der Kriterien kritisch zu hinterfragen. Sollte es nur wenige oder keine fundierten Informationen geben, ist es im ersten Schritt effektiver sich bei Entscheidungen oder Einschätzungen auf diese zu beschränken oder rein intuitiv vorzugehen. Im zweiten Schritt gilt es die erzielten Ergebnisse zu beobachten und fundierte und dokumentierte Erfahrungen für die Zukunft zu sammeln.

Quellen:

Thorsten Pachur, Ohne Fleiß kein Preis, Gehirn&Geist 7-8, Spektrum Verlag, 2010
Gigarenzer, Gerd: Bauchentscheidungen, Bertelsmann Verlag, München, 2007

 

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