Infobrief: Innovationbremsen, Macht, empathisches Gen

Bild: Alexandr Mitiuc – Fotolia

1. Lesetipp: Psychologische Störgrößen der Innovation (Artikel)
Welche psychologischen Hürden bremsen die Innovation, ein paar Beispiele.

2. Videotipp: Der Fluch der Macht (Video)
Was das Machtgefälle mit denen da oben und denen da unten macht.

3. Buchtipp: Das empathische Gen von Joachim Bauer
Prof. Joachim Bauer zeigt, warum wir auf das Gute in den Menschen setzen können. Sie verfügen dazu über die notwendigen genetischen Potentiale. Wir müssen sie nur besser nutzen.

4. Weitersagen!
Wer mir eine E-Mail mit dem Betreff „Zustimmung Infobrief“
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Innovationsbremsen

Die Zauberformeln der Innovation Teil 4:

Beispiele für psychologische Innovationsbremsen

Psychologische Innovationsbremsen können hart sein
Bild: foto art Elisabeth Wiesner

Die vorhergehenden Teile dieser Artikelserie drehten sich um Kommunikation, Prozess, Timing und Teamstruktur. Nun geht es um die zahlreichen psychologischen Innovationsbremsen, mit denen wir immer wieder zu kämpfen haben, wenn wir versuchen, gemeinsam neue Wege zu finden und zu gehen.

Hinweis: Dieser Artikel wurde auch über den Infobrief März 2023 verschickt.

Hier ein paar Beispiele für Phänomene und ihre Wirkung auf die Innovationskraft und wie wir ihnen durch die Gestaltung der Kommunikation begegnen können:

Innovationsbremsen: Ankereffekt

Der Ankereffekt kommt beispielsweise zur Wirkung, wenn in einem Meeting eine Einschätzung von Kosten abgefragt wird. Die Forschung zeigt, dass die erste genannte Meinung alle weiteren wie ein Magnet in ihre Nähe zieht. Der Effekt wird verstärkt, wenn die erste Einschätzung von einer einflussreichen Person gegeben wird.

Beispiele für Gegenmaßnahmen:

  • Dominante oder einflussreiche Personen halten sich bewusst zurück, bis alle anderen ihre Meinung geäußert haben.
  • Einschätzungen werden zunächst von jeder Person verdeckt vorgenommen und danach gemeinsam offengelegt.

Innovation lebt von einer gesunden Meinungsvielfalt und der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven und Einschätzungen. Deshalb sollten wir darauf achten, dass diese Voraussetzungen nicht durch Innovationsbremsen wie den Ankereffekt konterkariert werden.

Innovationsbremsen: Reaktanz

Diese offene, aber oft auch verborgene Abwehrreaktion entsteht beispielsweise, wenn einer Person mit einer MUSS-Formulierung eine Aufgabe oder ein Verhalten aufgezwungen wird und damit ihr Anspruch auf Selbstbestimmung oder Mitbestimmung unangemessen eingeschränkt wird. Autoritäres oder direktives Verhalten provoziert diese Reaktion. Gerade Personen, die gerne Verantwortung übernehmen, über ein hohes kreatives Potential oder eine hohe eigene Lösungskompetenz verfügen, werden auf diese Weise demotiviert. Das führt zu einem Verlust von innovativem Potential und ist damit eine der weit verbreiteten Innovationsbremsen.

Hier gibt es gute Alternativen:

  • Oft tut es ein schlichtes „Bitte“.
  • MUSS-Formulierungen lassen sich durch eine Information in Kombination mit einer Frage ersetzen: „Du musst diese Messreihe nochmals durchführen“ wird zu „Ich sehe Werte in der Messreihe, die mir nicht plausibel erscheinen. Wie könnte die Korrektheit der Messreihe sichergestellt werden?“

Team Language Coefficient

Thomas Malone vom MIT fand heraus, dass eine ungleichmäßige Verteilung der Gesprächsanteile in einem Team den Erfolg negativ beeinflusst. Eklatante Einschätzungsfehler werden wahrscheinlicher, wenn sich das Verhältnis von Zuhören und Reden ungleichmäßig verteilt. Dabei spielt das Kommunikationsverhalten von einflussreichen oder mächtigen Personen eine besondere Rolle. Wenn sie anderen Kommunikations-Raum geben, indem sie zuhören und neugierige Fragen stellen, erzielen sie mehrere wichtige Wirkungen:

  1. Dieses Verhalten drückt Wertschätzung gegenüber den Gruppenmitgliedern aus.
  2. Die Beteiligten können sich inhaltlich und emotional besser aufeinander einstellen.
  3. Mitsprache steigert die Verantwortungs- und Einsatzbereitschaft und das für die Motivation sehr wichtige Gefühl der Selbstwirksamkeit.
  4. Der Lösungs-, Erfahrungs- und Erkenntnishorizont aller Beteiligten wird erweitert.
  5. In der Regel werden bessere Entscheidungen getroffen und häufiger ein Konsens erzielt.
  6. Die Bereitschaft der Beteiligten, schwierige Entscheidungen mitzutragen, steigt, selbst wenn hier noch eine gewisse Skepsis herrscht.

Andernfalls werden dominante Personen schnell zu Innovationsbremsen.

Hier helfen Formulierungen wie:

  • „Ich würde gerne mehr über Ihre Einschätzung der Situation erfahren.“
  • „Was würdest Du an meiner Stelle tun?“
  • „Ich bin schon neugierig auf Eure Ideen!“

Innovationsbremsen: Systematischer Attributionsfehler

Wenn jemand seine Arbeit nicht erledigt oder nicht das erwartete Ergebnis liefert, neigen wir intuitiv dazu, die Person als die wesentliche Ursache zu betrachten. Das führt dazu, dass wir die Person selbst kritisieren: Du strengst Dich nicht genug an. Du bist unzuverlässig. Oder schlimmer: Wir denken uns das nur und behandeln die Person entsprechend. Das lässt sich noch steigern: Wir beschweren uns hinter dem Rücken der Person bei anderen. Der Sündenbock tut dann das, was Böcke tun: Sie bocken offen oder im Verborgenen.

Viel sinnvoller wäre es doch, die Ursache der aus unserer Sicht unbefriedigenden Leistung im Kontext der Situation und des Systems aufzuklären. Gab es Missverständnisse bei der Aufgabenbeschreibung? Wurde die Arbeitsbelastung ausreichend berücksichtigt? Wie sind die Prioritäten konkurrierender Aufgaben dieser Person? Was im Umfeld hat die Person behindert?

Wer dieser Intuitionsfalle durch bewusste Aufklärung der Umstände ein Schnippchen schlägt profitiert mehrfach:

  1. Vermeidung von Beziehungskonflikten durch persönliche Vorwürfe
  2. Erhaltung oder Vertiefung einer vertrauensvollen Beziehung
  3. Besseres Verständnis situativer und systemischer Einflüsse
  4. Aussicht auf eine beiderseits akzeptierte Lösung

Gerade bei innovativen Projekten kann so einiges schieflaufen, was uns immer wieder in diese Falle tappen lässt. Eine der tückischsten Innovationsbremsen.

Self-Serving Bias

Auch hier handelt es sich um ein sehr interessantes Phänomen der menschlichen Psyche. Erzielte Ergebnisse werden im Zweifelsfall eher inneren Ursachen (wie eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten) und Misserfolge eher äußeren Ursachen (der Situation, dem Zufall etc.) zugeschrieben. Der Einfluss von Faktoren wie Glück, Pech oder äußeren Umständen wird falsch eingeschätzt. Dieser Trick unserer Psyche hilft uns einerseits dabei, unser Selbstbild zu stabilisieren. Andererseits hindert es uns daran, kritische Selbstreflexion zu betreiben. Auch hier gilt wieder, dass durch dieses Phänomen vor allem einflussreiche und mächtige Personen destruktiv auf ihr Umfeld wirken können. Der Beitrag zum Erfolg wird übertrieben den eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten zugeschrieben. Der Anteil von anderen Personen oder glücklichen Umständen wird übersehen oder nicht angemessen gewürdigt. Die Person schmückt sich mit fremden Federn. Sie wird über kurz oder lang durch Entzug von Loyalität, Vertrauen, Einsatz- und Verantwortungsbereitschaft bestraft werden. Im Falle eines Misserfolgs führt der Self-Serving Bias dazu, dass die Ursachen über Gebühr dem Umfeld angelastet werden, um die eigene Weste möglichst sauber zu halten: die unfähigen Kollegen, die schweren Arbeitsbedingungen, die vom Vorgänger verursachten Probleme usw.

Deshalb gehört der Mut zur Selbstreflexion zu einer der wichtigsten Tugenden in anspruchsvollen Projekten. Sie eröffnet eine objektivere Sicht auf die eigenen Stärken und Schwächen und weist gleichzeitig darauf hin, wo anderen Menschen die gebührende Wertschätzung zu zollen ist oder wo wir uns bei Fortuna bedanken sollten.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Dieser Effekt wird wirksam, wenn wir uns sehr stark einer Prognose verpflichtet fühlen, die wir geäußert haben. Der Effekt wird durch den Aufwand, den wir getrieben haben, um andere von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, und den Grad der Öffentlichkeit unserer Aussage verstärkt. Beispielsweise haben wir uns für ein Projekt starkgemacht. Wir werden nun sehr viel Kraft investieren, damit das Projekt gelingt. Das ist ok, solange wir den Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen betreiben. Wenn wir aber der selbsterfüllenden Prophezeiung auf den Leim gehen, besteht die Gefahr, dass wir unverhältnismäßig hohen Aufwand treiben, zu hohe Risiken eingehen, wichtige Hinweise auf Fehleinschätzungen übersehen oder unter den Teppich kehren. So werden möglicherweise wichtige Ressourcen verschwendet, die an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnten. Doch auch der umgekehrte Fall kann eintreten: Wir stellen uns vehement gegen ein innovatives Projekt, und die selbsterfüllende Prophezeiung macht uns blind für die Chancen, die es bietet.

Innovationsbremsen: Antreiber

In jedem Menschen wirken mehr oder weniger stark Glaubenssätze folgender Qualität: Sei perfekt! Sei stark! Beeil Dich! Sei gefällig! Streng Dich an! In vielen Lebenssituationen sind wir froh, wenn uns diese inneren Antreiber oder Antreiberinnen dazu bringen, über unseren Schatten zu springen. Schwierig wird es, wenn die ausgleichenden Bremser und Bremserinnen im Keller unserer Psyche hinter schalldichten Türen versauern. Sie würden uns beruhigend Sätze zuflüstern wie: Lass es gut sein. Mach mal Pause. Genieße. Du darfst auch nein sagen. Wenn diese Antreiber uns keine Ruhe gönnen und sie unser Selbstbild zu stark prägen, werden sie zur Gefahr für uns und unsere Umgebung. Im verzweifelten, aber letztlich erfolglosen Bestreben, unerfüllbare Ansprüche an uns selbst zu erfüllen, wendet unsere Psyche einen fiesen Kniff an: Es projiziert unsere vermeintlichen Defizite auf die Umgebung – mit möglicherweise fatalen Folgen. Wir werden ungeduldig, weil andere unseren Ansprüchen (denen wir aber auch selbst nicht vollständig genügen können) nicht gerecht werden. Unsere Mitmenschen werden dann nicht nur für ihre Unzulänglichkeit bestraft, sondern wir bestrafen sie vor allem für unsere eigene. Vergleichbare Mechanismen gelten für die anderen Antreiber. Wie frustrierend ist das für die Mitmenschen? Wie groß ist die Schadenfreude, wenn uns der Antreiber irgendwann in einer Sackgasse gegen die Wand klatscht? Da innovative Projekte eine gewisse Toleranz für Fehler und Irrwege erforderlich machen, ist es hilfreich, wenn wir uns unserer Antreiber bewusst sind und sie immer wieder auf ein für andere (und uns) erträgliches oder besser noch hilfreiches Niveau einbremsen.

Innovationsbremsen: Machtgefälle

Ein hohes gefühltes Machtgefälle birgt einige Gefahren

Das gefühlte Machtgefälle hat eine starke Wirkung auf das Verhalten der Menschen. Dies gilt für die Mächtigen ebenso wie für die am unteren Ende der Machtpyramide. Je mächtiger sich eine Person fühlt, desto mehr wächst die Gefahr, dass durch die entstehende Distanz Empathie und Verständnis für „die da unten“ verloren geht, unsensibel gehandelt wird oder unangemessene Privilegien beansprucht werden. „Die da unten“ fühlen mit wachsendem Gefälle einen immer stärkeren Druck von „denen da oben“. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit geht verloren und auch die Motivation, Selbstwirksamkeit zu leben. Die Tendenz zur Selbstzensur wächst ebenso wie die emotionale Distanz zu „denen da oben“. Es gibt viele Beispiele, z.B. aus Luft- und Seefahrt sowie Krankenhäusern, die zeigen, dass das große Machtgefälle zwischen Kapitänen und Mannschaft oder Chefarzt und Assistenten zu fatalen Fehlern geführt hat, weil „die da unten“ nicht den Mut hatten, ihre Einschätzung nachdrücklich genug zu äußeren oder nicht einmal den Versuch wagten. Flugzeug-Crews trainieren eine Sprachregelung namens Crew Ressource Management (CRM), die helfen soll, diese Hemmschwelle zu überwinden.

Video: Machtgefälle

Mächtige haben viele Möglichkeiten, durch ihr Verhalten das Machtgefälle zu erhöhen oder zu senken. Die große Kunst besteht darin, das Machtgefälle so zu gestalten, dass sie zielgerichtet Wirkung entfaltet, ohne das Commitment und die Offenheit der Menschen unnötig zu schwächen. Die Gestaltung der Kommunikation spielt hier eine entscheidende Rolle. Hier ein paar Beispiele für Verhaltensweisen, die das Machtgefälle (zumindest eine Weile) erhöhen: 

  • Starke verbale, körpersprachliche und symbolische Signale der Dominanz, wie lautes Sprechen, hohe Gesprächsanteile, raumgreifende Gestik, Chef-Anzug oder Hierarchie der Sitzordnung 
  • Arroganz, Rechthaberei
  • Das Recht beanspruchen, andere zu unterbrechen, andere zu stören oder Regeln zu brechen
  • bewerten, beurteilen, verurteilen, loben, tadeln, bestrafen
  • Zwang ausüben
  • Kontrolle

Andere Verhaltensweise führen zu einer Reduzierung des gefühlten Gefälles:

  • Fragen, Zuhören
  • Wertschätzung, Rücksicht
  • Beobachten und informieren statt beurteilen
  • Lösungsorientierter Umgang mit eigenen Schwächen.  Schwächen werden also nicht versteckt, sondern genutzt, um verfügbare Ressourcen (Kollegen, Lernbereitschaft, Neugier) zu aktivieren, um diese Schwächen ausgleichen oder nach und nach zu beheben.
  • Moderieren, vermitteln, integrieren
  • Feedback geben und annehmen

Sie sehen, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich werde später Beispiele geben, wie diese Verhaltensweisen durch geeignete Formulierungen begleitet werden können.

Group Think

Sobald sich eine Gruppe, ein Team oder eine Organisation bildet, entsteht zwangsläufig eine Unterscheidung zwischen den Menschen, die zu UNS gehören, und den ANDEREN, die nicht dazugehören. Dieser Unterschied kann sich z.B. in räumlichen, emotionalen, kulturellen, sprachlichen, hierarchischen, modischen oder symbolischen Merkmalen widerspiegeln. Das ist gut so, weil das Gefühl von Zugehörigkeit, DAS Fundament für eine funktionierende Gemeinschaft, gestärkt wird. Sobald dieser Unterschied jedoch zu Ausschluss, Diskriminierung, Verachtung und Rücksichtlosigkeit gegenüber ANDEREN führt, verkehrt sich dieser Vorteil in einen gravierenden Nachteil. Die Loyalität zum Team mutiert zur Gegnerschaft zu den ANDEREN. Gegnerschaft ist der Tod von Kommunikation und Kooperation. Der Unterschied als Quelle der Erkenntnis und damit der Innovation geht verloren. Auch hier spielt die Art der Kommunikation ein Schlüsselrolle, denn sie kann Mauern errichten, einreißen oder am besten dafür sorgen, dass statt Mauern Brücken gebaut werden. Beispiele für verbale Innovationsbremsen:

  • Verbale Anonymisierung, Entmenschlichung: die Erbsenzähler“, „die vom Vertrieb“, „die da oben“, „die da unten“, „diese Weicheier“
  • Menschen mit anderen Meinungen werden erniedrigt: „Wollen Sie das nicht kapieren oder können Sie es nicht?“ „Sie schon wieder mit Ihren Sonderwünschen!“
  • Menschen werden ausgegrenzt: „Du bist die Einzige, die …!“ „Wer nicht für mich/uns ist, ist gegen mich/uns.“

Verbaler Brückenbau kann so aussehen:

  • Wertschätzender Umgang: „Danke, Herr Müller, für Ihre Einschätzung. Bitte erläutern Sie uns Ihre Gründe.“
  • Augenhöhe wahren: „Hier haben wir offensichtlich unterschiedliche Meinungen. Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wo dieser Unterschied herrührt.“
  • Perspektivenwechsel anregen: „Was würden wir tun/entscheiden, wenn wir … wären?“ „Was würden Sie an unserer Stelle tun/entscheiden?“
  • Entscheiden-Handeln-Prüfen: „Ich weiß, dass Sie anders entschieden hätten. Ich verstehe auch Ihre Enttäuschung. Wir werden nun meine Entscheidung die nächsten 2 Wochen umsetzen und sie dann anhand der Ergebnisse überprüfen.“

Yerkes-Dodson-Gesetz

Das Yerkes-Dodson-Gesetz zeigt das große Dilemma, in das wir geraten können, wenn wir in der Krise stecken. Wir haben es dann meist mit einem komplexen Problem zu tun, das wir lösen müssen. Gleichzeitig wird möglicherweise durch den Auftraggeber, Führungskräfte oder die eigene Erwartungshaltung ein hoher Druck aufgebaut. Dadurch kann das Erregungsniveau (u.a. erhöhter Herzschlag und Blutdruck) so sehr gesteigert sein, dass die Fähigkeit, anspruchsvolle Aufgaben zu lösen, beeinträchtigt wird. Wir handeln dann zwar nicht im wörtlichen, aber im kognitiven Sinne kopflos.

In solchen Fällen ist es notwendig, Störungen und Aufregungen, die die Arbeitsleistung beeinträchtigen, zu vermeiden. Das hat nichts damit zu tun, dass wir das Problem, den Kunden oder die Vorgesetzten nicht ernst nehmen. Ganz im Gegenteil: Nur so können wir das Problem effektiv lösen und die Anforderungen erfüllen.

Die Aufgabe besteht in diesen kritischen Situationen darin, Personen, die weiteren Druck aufbauen wollen, diese Zusammenhänge klarzumachen. Es gilt, das Vertrauen zu fördern, dass das Team das Problem lösen kann, wenn es nicht gestört und zusätzlich belastet wird. Es muss erkennbar sein, wer wie helfen kann, damit das Team in der Lage ist, die Krise effektiv zu bewältigen. Hilfsbereitschaft, Zuspruch, Vertrauen, Geduld, Humor, Anerkennung und Zuversicht im Umfeld sind beispielsweise gute Bedingungen, um das richtige Erregungsniveau für optimale Leistung zu schaffen. Ebenso sollte durch Pausen, vernünftige Ernährung und ergonomische Arbeitsplatzgestaltung dafür gesorgt werden, dass die Menschen, die Leistung erbringen sollen, nicht unnötigen körperlichen und psychischen Zusatzbelastungen ausgesetzt sind.

Wie Sie sehen, lauern eine Menge psychologischer Innovationsbremsen auf dem Weg zum Erfolg. Die Kenntnis dieser Fallstricke und ein geeignetes Kommunikationsverhalten zur richtigen Zeit können uns davor bewahren, dass wir dahinstolpern und uns eine blutige Nase holen.

Infobrief: Timing, Team, Knowhow

pixabay, geraltBildquelle: pixabay, geralt

  1. Lesetipp: Die Zauberformeln der Innovation (Artikel)
    Überlegungen und Tipps zu Timing, Teamorganisation und Knowhow-Profilen.
  2. Videotipp: Timing und Arbeitsrhythmus (Video)
    Wie gestalten wir Timing und Arbeitsrhythmus in Innovationsprozessen?
  3. Videotipp: Teamorganisation (Video)
    Welche Organisationsform eignet sich am besten für TOP-Innovationsteams?
  4. Videotipp: Knowhowprofile innovativer Teams (Video)
    Warum T-shaped und Pi-shaped people für die Innovation so wichtig sind und was sich hinter diesen Begriffen verbirgt?
  5. Buchtipp: Lebendigkeit entfesseln von Silke Luinstra
    Sie zeigt, warum New Work oft nur Etikettenschwindel ist und welche Möglichkeiten sich eröffnen, wenn sich New Work aus wirklichen Systemveränderungen entwickelt.
  6. Weitersagen!
    Wer mir eine E-Mail mit dem Betreff „Zustimmung Infobrief“
    an buch@systemisches-projektmanagement.info schickt, bekommt nach wie vor mein aktuelles Buch „Projektmanagement Espresso“ als pdf-Download geschenkt.

Timing, Team, Knowhow

Die Zauberformeln der Innovation Teil 3:
Das Richtige zur richtigen Zeit tun

Im Teil 1 und 2 dieser Artikelserie habe ich Anregungen zur Kommunikation und Prozessgestaltung gegeben, die der Innovation zugutekommen. Doch wie sorgen wir dafür, dass ein Innovationsteam in einen produktiven Arbeitsrhythmus kommt und dazu noch rechtzeitig und flexibel auf unerwartete Ereignisse reagiert? Hier gibt es interessante Parallelen zu Sportarten wie Freiwasserschwimmen und Basketball, die klarmachen, worauf es ankommt.

Wenn wir das Unerwartete erwarten sollten

Wenn wir eine Entscheidung getroffen haben und diese Entscheidung umsetzen, sammeln wir neue Erfahrungen. Diese neuen Erfahrungen beruhen einerseits auf neuen Perspektiven, die uns das praktische Handeln eröffnet. Andererseits wirken unsere Aktivitäten und andere Einflüsse auf das Umfeld unseres Projekts. Während wir handeln, verändern sich also zwangsläufig die Rahmenbedingungen, die wir ursprünglich als Grundlage unserer Entscheidung in Betracht gezogen haben. In einem dynamischen und komplexen Umfeld ist es deshalb sehr sinnvoll, die Umsetzungsphase in relativ kurzen Abständen zu unterbrechen, um die Wirkung der neuen Rahmenbedingungen für die weitere Umsetzung zu berücksichtigen. Falls sich herausstellt, dass durch eine weitere Umsetzung der bisher getroffenen Entscheidungen voraussichtlich nicht das erwartete Ergebnis erzielt werden kann, ist eine angepasste oder neue Entscheidung notwendig.

Wie man´s auch macht, es ist selten ganz richtig …

Je dynamischer sich die Umsetzung einer Entscheidung und das Umfeld gegenseitig beeinflussen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Entscheidungen, Pläne oder Regeln lange Bestand haben. Je mehr neue Erfahrungen wir beispielsweise innerhalb kurzer Zeit in einem Digitalisierungsprojekt sammeln können, desto weniger lässt sich der weitere Verlauf des Projekts vorhersehen. Das ist das große Dilemma der Digitalisierung, das sich z.B. in inflationärer Updaterei und dem notorischen Hinterherhinken von Gesetzgeber und etablierten Organisationen widerspiegelt. Die Digitalisierung führt zu einer Erfahrungsexplosion, und die Erfahrungsexplosion erzeugt in atemberaubender Geschwindigkeit neue Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen. Dadurch wird es immer schwerer, die Folgen einer Entscheidung über längere Zeiträume einzuschätzen. Deshalb müssen Umsetzungsphasen kurz gehalten, die Rahmenbedingungen immer wieder neu bewertet und Entscheidungen häufiger auf den Prüfstand gestellt werden. Man könnte auch sagen: Wie man´s auch macht, es ist selten ganz richtig – und selten ganz falsch.

Dilemma 1: Die Wechselwirkung zwischen der Umsetzung von Entscheidungen und dem Umfeld erzeugt immer wieder neue und unerwartete Rahmenbedingungen und Handlungsoptionen.

Damit kommen wir zu einem weiteren Dilemma. Wenn wir Umsetzungsphasen verkürzen, um Entscheidungen immer wieder zu hinterfragen, anzupassen oder neu zu treffen, geht das zu Lasten der Produktivität. Wenn wir längere Umsetzungsphasen planen, um produktiver zu sein, besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse nicht mehr zu den aktuellen Rahmenbedingungen passen.

Dilemma 2: Innovation und Produktivität stellen unterschiedliche Anforderungen an das optimale Timing eines Prozesses.

Die Suche nach dem optimalen Timing

Ich bin ein begeisterter Freiwasserschwimmer. Die schnellste Art vorwärtszukommen ist Kraulen. Doch bei diesem Schwimmstil ist es relativ schwer, die Richtung exakt zu halten. Also muss ich immer wieder einmal einen Zug machen, bei dem ich den Kopf aus dem Wasser strecke, um mich zu orientieren. Das bremst natürlich und bringt mich aus dem Rhythmus. Die Kunst besteht darin, ein optimales Timing von Schwimmen und Orientieren zu finden. In einem stillen Gewässer muss ich dazu seltener den Kopf heraustrecken als bei einer Freiwassertour mit wechselnden Wind-, Strömungs- und Wellenverhältnissen. In jedem Fall sollte der zusätzliche Zeit- und Energieaufwand durch die suboptimale Wasserlage beim Herausstrecken des Kopfes und notwendige Richtungsanpassungen möglichst gering sein. Für jede Tour gäbe es ein optimales Verhältnis von Schwimmphasen mit optimaler Wasserlage und Orientierungsphasen mit suboptimaler Wasserlage. Das kenne ich aber leider nicht, wenn ich lospaddle. Was mache ich also? Ich taste mich an ein gutes Timing heran, indem ich mit einem Rhythmus anfange, der mir brauchbar erscheint (z.B. 20 Züge pro Orientierungszug). Dann korrigiere ich das Timing, wenn nötig. Es ist dabei nicht sinnvoll, das Timing ständig neu zu optimieren, wenn Richtung und Tempo im Großen und Ganzen stimmen. Zum einen weiß ich nicht genau, wo das Optimum liegt, zum anderen ist es für mein Bewegungsempfinden und meinen Energieverbrauch besser, wenn ich in einem brauchbaren Rhythmus verbleibe, anstatt ständig zu versuchen, das Optimum zu finden.

Link zu Erklärvideo zum Thema Timing und Rhythmus in Innovationsprozessen

Nach ganz ähnlichen Prinzipien können Teams vorgehen, die sich ins Freiwasser der Innovation wagen:

  • Je stärker sich Umsetzung und Umgebung gegenseitig beeinflussen, desto mehr empfiehlt es sich, häufiger zwischen Orientierungsphasen (Reflexion und Entscheidung) und Umsetzungsphasen zu wechseln.
  • Es gilt im Team einen Rhythmus zu finden, bei dem der Aufwand für Orientierung und Kurskorrekturen möglichst gering ist.
  • Es ist besser, einen guten Rhythmus zu halten, als ständig zu versuchen, ein Optimum zu finden, welches praktisch nicht identifizierbar ist.

Einen guten Lösungsansatz für das Timing-Problem bieten agile Prozesse wie Scrum, Kanban oder Last Planner System. Sie beruhen auf dem Prinzip, dass das Projektteam in relativ kurzen Umsetzungsphasen sehr verbindlich Maßnahmen durchführt, die anhand einer aktuellen Bewertung des dadurch erzielbaren Nutzens beschlossen wurden. Nach jeder Umsetzungsphase werden die Ergebnisse geprüft, um die gewonnenen Erfahrungen in die Entscheidungen für die nächste Umsetzungsphase einfließen zu lassen.

Akteure und Aktionen richtig kombinieren

Neben Prozessgestaltung und Prozesstiming spielt das Zusammenwirken der Akteure (Team) und Aktionen (reflektieren, entscheiden, handeln) eine wichtige Rolle für das Innovationspotential. Im Prinzip lässt sich an zwei Stellschrauben drehen: die Kopplung von Akteuren und die Kopplung von Aktionen. Je starrer die Kopplung von Akteuren ist, desto mehr wird der Erfolg durch die spezifische Zusammensetzung und das unverwechselbare Zusammenwirken eines Teams bestimmt. Eine Band wie die Rolling Stones ist ein gutes Beispiel: einzigartige Persönlichkeiten mit einzigartigem Sound. Der unbemerkte Austausch eines Bandmitglieds dürfte ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen sein. Dagegen ist bei sehr lockerer Kopplung der Akteure im Grunde jede Person leicht ersetzbar und verzichtbar.

Link zu Erklärvideo zur Organisation innovativer Teams

Bei einer starren Kopplung von Aktionen bestehen wiederum hohe Abhängigkeiten zwischen den Handlungsschritten der beteiligten Personen.

Timing und Teamorganisation

Bildquelle: YouTube-Video von Peter Siwon

Eine Organisation mit sehr strikten Vorgaben, an welcher Stelle welche Tätigkeiten mit welchen Fertigkeiten und Befugnissen erledigt werden müssen, bevorzugt eine starre Kopplung von Aktionen. Ein klassischer Vertreter dieser Organisationsform ist die Fließbandproduktion. Folgen am Fließband sehr einfache Tätigkeiten hintereinander, können die Arbeitsplätze mehr oder weniger von beliebigen Personen erledigt werden. Wir haben es also gleichzeitig mit sehr geringen Abhängigkeiten von bestimmten Akteuren zu tun. Wenn die Tätigkeiten in einem straff durchorganisierten Prozess aber nur von bestimmten Personen mit besonderen Fähigkeiten erbracht werden können, dann sind sowohl die Aktionen als auch die Akteure eher starr gekoppelt. Diese Konstellation findet sich beispielsweise bei einem Olympia-Ruderachter, in dem die Besten der Besten hochoptimiert wie ein Uhrwerk zusammenwirken müssen, um eine Chance auf Gold zu haben.

Kleine Familienunternehmen oder Start-ups müssen die anfallenden Aufgaben nach dem Prinzip „machen wir das Beste draus“ erledigen.  Die Arbeitsteilung richtet sich flexibel nach den verfügbaren Personen. Das heißt, die Abhängigkeit von bestimmten Personen wird mit einer eher losen Kopplung von Handlungen kombiniert.

Schauen wir uns noch ein Hightech-Forschungslabor in diesem Schema an. Dort werden komplexe Versuchsreihen durchgeführt, die unbedingt reproduzierbar sein sollten. Hier ist die Abhängigkeit von bestimmten hochqualifizierten Akteuren hoch. Die Aktionen sind eher starr gekoppelt.

Welche Form der Kopplung von Akteuren und Aktionen würde wohl am besten der Innovation dienen? Innovation erfordert einerseits eine hohe Anpassungsfähigkeit der Aktionen. Gleichzeitig sollte es einen Prozess-Rahmen (Framework) geben, der dem Zusammenspiel der Akteure hilfreiche Orientierung gibt. Der Rahmen des Innovationsprozesses (z.B. Scrum-Framework) kann relativ starr angelegt sein. Innerhalb dieses Rahmens werden die Aktionen allerdings sehr kreativ und flexibel gestaltet.

Es ist bei Innovationen langfristig nicht vorhersehbar, welche Folge von Aktionen den Erfolg bringt. Nicht zuletzt deshalb brauchen wir ein sehr gut eingespieltes Team. Jedes Teammitglied bringt spezielle Fähigkeiten mit und ist gleichzeitig in der Lage, das große Ganze gut genug zu verstehen, um sich mit allen anderen immer wieder neu zu koordinieren. Im Sport würde man von einem gut eingespielten Team sprechen, das in der Lage ist, sich sehr schnell strategisch und taktisch auf seinen Gegner einzustellen. Das heißt, die Kopplung der Akteure sollte eher starr sein.

Rhythmus und Spielwitz entscheiden

Ein Top-Innovationsteam ähnelt also eher einem Top-Basketballteam der NBL als einem Ruderachter: Eine relativ starr gekoppelte Anzahl von Spezialisten mit hervorragendem Überblick für das Spielgeschehen führt abhängig von dem bisherigen Spielverlauf und der Spielsituation immer wieder neue Varianten und Folgen von Aktionen durch, um zu gewinnen. Jedes Teammitglied hat seine besonderen Stärken, die es für bestimmte Positionen und Spielsituationen prädestiniert. Gleichzeitig verfügt jedes Teammitglied über genug Routine, um auf jeder Position und in jeder Situation professionell das Spiel zu unterstützen, wenn es notwendig ist – auch wenn das nicht auf dem hohen Niveau der Spezialisten geschieht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von T-shaped People. Der Querbalken des Buchstaben T steht für die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten im Spiel (oder Projekt), und der vertikale Balken steht für das Niveau auf dem Spezialgebiet. Teams mit Mitgliedern, die ein solides T-Profil aufweisen, sind in der Lage, gleichzeitig sehr flexibel und sehr professionell zu agieren. Darüber hinaus ist es nützlich, auch π-shaped (Pi-shaped) People im Team zu haben. Der L-förmige Teil des π symbolisiert die Führungsqualitäten (Leadership-Qualitäten). Diese Personen sind z.B. in der Lage, zeitweise Führungsverantwortung zu übernehmen, wenn es dem Team und seinem Ziel dient. Wenn ein Team mit diesen Voraussetzungen dann noch in der Lage ist, seinen Spielrhythmus zu finden, dann läuft es rund. Rund kommt nicht von ungefähr, denn π ist ja auch das Symbol für die Kreiskonstante.

Link zum Erklärvideo über Knowhowprofile innovativer Teams.

Knowhowprofil und TimingBildquelle: YouTube-Video von Peter Siwon

Fazit: Erfolgreiche Innovationen werden durch ein Timing unterstützt, das die sich verändernden Rahmenbedingungen des Umfelds angemessen berücksichtigt und gleichzeitig für einen möglichst gleichbleibenden Rhythmus der Prozessphasen sorgt. Phasen der Reflexion und Entscheidung wechseln sich dabei mit Phasen der Umsetzung und der Erfahrungssammlung ab. Die notwendige Flexibilität innerhalb eines klaren Handlungsrahmens und die geeigneten Fähigkeiten bieten eingespielte, stabile Teams, deren Mitglieder über eine gute Kombination von Wissens- und Erfahrungsvielfalt, Spezialisierung und Führungsqualitäten verfügen. Wie im Sport ist das Geheimnis des Erfolgs die erfolgreiche Kombination von Spielerfahrung, Rhythmus und Spielwitz.

Wer darüber hinaus mehr erfahren will, was ein gutes Team ausmacht, wie es entsteht, wächst und belastbar wird, dem empfehle ich meinen Artikel und die Videos zum Thema „Warum gute Teams nicht vom Himmel fallen“.

Im nächsten Teil dieser Artikelserie geht es um die vielfältigen psychologischen Hürden, die es zu nehmen gilt, wenn wir Innovation vorantreiben wollen. Es ist hilfreich, diese psychologischen Phänomene zu verstehen, um ihre Vorteile bestmöglich zu nutzen und die Nachteile vermeiden zu können.

 

Infobrief Juni 2022

Innovationsprozess, Entscheiden, Deep Work

  1. Lesetipp: Die Zauberformeln der Innovation (Artikel)
    Der Weg durch die Zone des Ächzens und Stöhnens.
  2. Videotipp: Innovationsprozesse gestalten (Video)
    Wie gestalte ich geschickt einen Innovationsprozess? Was ist divergentes und konvergentes Denken? Was bedeutet Groan Zone im Innovationsprozess? Warum ist das Timing von Denken-Entscheiden-Handeln so wichtig?
  3. Videotipp: Das Wesen von Entscheidungen (Video)
    Was ist das Wesen der Entscheidung? Welchen Nutzen haben (Fehl-)Entscheidungen? Warum ist es unmöglich risikolos Entscheidungen zu treffen?
  4. Buchtipp: Deep Work von Cal Newport (Englisch)
    Cal Newport vertritt eine interessante Hypothese:  Im Zeitalter des rastlosen Social Media Konsums und dem Ersetzen von Nachdenken durch Googlen werden Menschen, die sich noch in komplexe Aufgaben vertiefen können, (Deep Worker)  immer seltener und gefragter.  Er beschreibt, wie wir unsere Fähigkeiten zu Deep Work entwickeln oder steigern können.
  5. Weitersagen!
    Wer mir eine E-Mail mit dem Betreff „Zustimmung Infobrief“
    an buch@systemisches-projektmanagement.info schickt, bekommt nach wie vor mein aktuelles Buch „Projektmanagement Espresso“ als pdf-Download geschenkt.

 

 

Den Innovationsprozess gestalten

Die Zauber-Formeln der Innovation Teil 2:
Der Weg durch die Zone des Ächzens und Stöhnens
Denken, Entscheiden und Handeln im Innovationsprozess
richtig kombinieren und gestalten

InnovationsprozessDer Weg zu einem innovativen Ziel führt naturgemäß bei schlechter Sicht durch unbekanntes Terrain. In diesem 2. Teil der Artikelserie (zu Teil1) „Die Zauberformeln der Innovation“ geht es um wichtige Gestaltungsmerkmale innovativer Prozesse. Ich gebe Ihnen einige Anregungen, wie Sie Denken, Entscheiden und Handeln geschickt kombinieren und gestalten können. Dabei werden Sie erfahren, was es mit divergentem und konvergentem Denken im Innovationsprozess auf sich hat und warum wir uns durch die Groan Zone (die Zone des Ächzens und Stöhnens) schlagen müssen. Außerdem werden wir uns mit dem Wesen von Entscheidungen und der Bedeutung des Timings bei der Gestaltung von Innovationsprozessen beschäftigen.

Innovationsprozess: Ziele und Umfeld 

Schauen wir uns die Eigenschaften innovativer Ziele und die Topografie des Umfelds an, das wir auf dem Weg zu diesen Zielen durchqueren. Innovative Ziele sind zwangsläufig schwerer zu beschreiben oder zu begreifen als Ziele, die denen ähneln, die wir bereits erreicht haben. Wir versuchen, durch die Kombination von Erfahrung und Phantasie eine Vorstellung von diesem Ziel zu entwickeln. Welchen Nutzen erwarten wir? Wie fühlen wir uns dort? Was erwartet uns dort? Wie verändert sich unsere Beziehung? Und so weiter. Die Anziehungskraft eines Ziels wird stark davon geprägt, wie gut es uns gelingt, die Eigenschaften des Ziels plausibel, sichtbar und spürbar im Sinne unserer Bedürfnisse werden zu lassen. Innovative und visionäre Ziele winken beispielsweise mit der Befriedigung von Bedürfnissen, wie Anerkennung, Kreativität, Inspiration, Abwechslung, Erkenntnisgewinn, Selbstverwirklichung und Herausforderung. Gleichzeitig bergen sie möglicherweise mehr Risiko, Unsicherheit, Spekulation und schwer greifbare Komplexität. Das Umfeld, das wir auf dem Weg zum Ziel durchqueren, bietet aufgrund seiner Dynamik, Unübersichtlichkeit, Vieldeutigkeit und Komplexität ähnliche Chancen und Risiken wie das Ziel selbst. Ein Innovationsprozess bedeutet in der Regel, dass wir uns in waberndem Nebel durch ein weitgehend unbekanntes und hindernisreiches Gelände schlagen müssen, um ein bewegliches Ziel zu erreichen, von dem wir nicht einmal genau wissen, wie es aussieht. Wenn das keine Herausforderung für Kommunikation und Lernfähigkeit ist!

Entscheiden, Umsetzen, Reflektieren im Innovationsprozess

Wie kommt ein Team mit seinem Innovationsprozess am besten durch das gerade beschriebene Umfeld und findet das Ziel im Nebel? Im Prinzip ist es ganz einfach: Es kommuniziert, um zu entscheiden, wie es die erste Etappe auf dem Weg zum Ziel bewältigen will und wie lange diese Etappe sein soll. Am Ende der Etappe müssen aufgrund der gemachten Erfahrungen neue Entscheidungen getroffen werden. Wir können uns das anhand einer Analogie vergegenwärtigen:

Die Entscheidung zur praktischen Umsetzung einer Dschungelexpedition zur Entdeckung von Kultstätten einer verschwundenen Kultur könnte lauten: „Wir folgen dem Fluss, solange er Richtung Norden fließt oder bis spätestens 17:00 Uhr mit unseren Schlauchbooten. Dann suchen wir uns einen geeigneten Biwakplatz.“ Da der Fluss vor 17:00 Uhr seine Richtung ändert, wird die Etappe an geeigneter Stelle beendet. Nach Aufbau des Biwaks und einem stärkenden Essen werden die Ereignisse des ersten Tages besprochen, wichtige Erfahrungen dokumentiert und Vorschläge für die nächste Etappe und den weiteren Verlauf der Expedition gesammelt. Diese Reflexion wird nach dem Essen fortgesetzt, indem durch Diskussion und Abwägung die erfolgversprechendsten Optionen für die nächste Etappe entwickelt werden. Schließlich stimmt das Expeditionsteam der vom Expeditionsleiter favorisierten Option einstimmig zu. Die Expeditionsleitung gibt die Entscheidung bekannt: „Morgen soll ein Erkundungstrupp den weiteren Weg durch den Dschungel nach Norden erkunden und bis 18:00 Uhr zum Biwak zurückkehren.“ Am nächsten Tag wird die Umsetzung dieser Erkundungsetappe wie geplant durchgeführt.

Eine wichtige Eigenschaft der Gestaltung für einen Innovationsprozess liegt darin, dass aufgrund des unbekannten Geländes kontinuierlich relativ kurze Phasen von gemeinsamer Reflexion, Entscheidungsvorbereitung und Umsetzung durchlaufen werden. Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass im Vergleich zu einer einmaligen Ansage der Expeditionsleitung „Wir schlagen uns so schnell wie möglich nach Norden durch und das läuft nach folgenden Plan …“ eine geringere Strecke pro Zeit bewältigt wird und das Ziel möglicherweise langsamer erreicht werden kann. Die Vorteile dagegen sind:

  1. Die Expeditionsleitung nutzt die Erfahrungen aller Beteiligten für ihre Entscheidung. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer guten Entscheidung.
  2. Die Möglichkeiten der Mitgestaltung steigern die Bereitschaft zu Einsatz und Mitverantwortung aller Beteiligten während der Umsetzung.
  3. Alle Expeditionsteilnehmer können sich immer wieder aktiv einbringen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass alle die Entscheidung mittragen, selbst wenn sie eine andere Entscheidung vorgezogen hätten.
  4. Erfahrungen und Beobachtungen jedes Einzelnen sind willkommen. Das steigert die Aufmerksamkeit bei der Umsetzung und die Bereitschaft aktiv mitzudenken.
  5. Durch kurze Umsetzungsphasen mit anschließender Reflexion werden die Folgen einer Fehlentscheidung verkleinert. Gleichzeitig gewinnen alle Beteiligten schneller Erkenntnisse aus Fehlentscheidungen. Diese lassen sich dann kurzfristig für die nächsten Entscheidungen nutzen. (Auf den Begriff „Fehlentscheidung“ komme ich später noch einmal zurück.)
  6. Sollten einige Expeditionsteilnehmer nicht von einer Entscheidung überzeugt sein, so sind sie leichter für die Unterstützung einer Umsetzung zu gewinnen, mit der diese Entscheidung in einem überschaubaren Zeitraum überprüft und korrigiert werden kann.

Videotipp: Innovation gestalten

Geduldiges Zuhören, intensives Nachdenken, gleichberechtigte Diskussion und schrittweises Herantasten an eine Entscheidung im Wechsel mit relativ kurzen Umsetzungsphasen zahlen sich also auf weitgehend unbekannten Wegen zu noch schwer greifbaren Zielen, sprich im Innovationsprozess, in vieler Hinsicht aus.

Innovationsprozess: Die Treppenmetapher

Die Treppenmetapher visualisiert gut verständlich den gerade beschriebenen Zusammenhang in einem Innovationsprozess. Der erfolgreiche Aufstieg zum Ziel setzt sich wie eine Treppe aus Elementen zusammen. Die waagerechten Elemente bringen uns dem Ziel durch praktische Aktionen näher, und wir sammeln dabei Erfahrungen. Die senkrechten Elemente bringen uns dem Ziel durch Nachdenken und Entscheiden u.a. auf Basis der Praxiserfahrungen näher, weil wir künftig auf einem höheren Niveau agieren können. Wer nur handelt, ohne sich immer wieder Zeit zum Nachzudenken zu gönnen, kann seine praktischen Erfahrungen nicht nutzen, um die Umsetzung zu optimieren. Anders ausgedrückt: Die Person oder das Team bewegt sich irgendwie vorwärts, aber gewinnt dadurch keine Höhe. Wer zu viel denkt, ohne zu handeln, dem fehlen wichtige praktische Erfahrungen, um die eigenen Gedanken und Entscheidungen zu überprüfen. In diesem Fall gewinnt die Person oder das Team zwar irgendwie an Höhe, aber kommt nicht vorwärts. Die Metapher deutet an, wie wichtig es beim Innovationsprozess ist, die Höhe und Breite der Stufen abhängig von Ziel und Umgebung ins geeignete Verhältnis zu setzen, d.h. das Timing von Vorwärts-Schreiten und Aufwärts-Steigen ist für den Erfolg der Innovation von größter Bedeutung. Entscheidungen spielen damit eine entscheidende Rolle, weil sie einerseits den Übergang von Denken zum Handeln anstoßen und andererseits auch festlegen, wie und wie lange gehandelt wird. Natürlich kommt dabei der Gestaltung der Kommunikation während des Vorwärts-Schreitens und Aufwärts-Steigens eine wesentliche Bedeutung zu. Haltungen, Prinzipien und Methoden der Kommunikation haben starken Einfluss darauf, wie elegant und zügig wir uns Stufe für Stufe dem Ziel nähern.

Innovationsprozess: Denken, Entscheiden, Handeln

 

Bildquelle: Seminarunterlagen Peter Siwon

Divergentes und konvergentes Denken

Schauen wir uns nun etwas genauer an, wie ein kreativer Prozess oder Innovationsprozess funktionieren könnte. Dabei spielen die geschickte Kombination und methodische Gestaltung divergenter und konvergenter Denkprozesse eine tragende Rolle. Am Anfang des Prozesses steht eine Frage, die durch den Prozess beantwortet werden soll. Diese Frage kann beispielsweise die Suche nach einer Strategie, einer Methode, einer Vorgehensweise, einer Maßnahme oder einer Problemlösung sein. Allerdings lassen sich kreative Prozesse auch einsetzen, um Ziele und Fragestellungen zu entwickeln. Vielleicht wollen wir eine eindrucksvolle Präsentation für einen wichtigen Kunden erstellen. Die Fragestellung, mit der wir in den Prozess einsteigen, könnte lauten: Welches Ziel wollen und können wir mit unserer Präsentation erreichen? Welche Fragen könnten den Kunden besonders interessieren? Nachdem die Fragestellung geklärt ist, nutzen wir die divergente Denkweise, um den Lösungsraum großzügig aufzuspannen. Wir sammeln durch Recherchen, Brainstorming, Umfragen, Nachforschungen etc. möglichst viele Fakten, Meinungen, Annahmen, Anregungen und Ideen, die in irgendeiner Weise dabei helfen könnten, Antworten zu finden. Wir nutzen Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die wir durch die eigene gedankliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder die Nutzung anderer Informationsquellen gewinnen können. Wir schöpfen dabei aus der großen Vielfalt von Methoden zur Förderung der Kreativität und Informationsbeschaffung.[1] Wichtige Grundregel: Es wird nicht bewertet oder diskutiert.

Tipp 1: Alle offenen Fragen, also Fragen, die mehr liefern als ein Ja oder Nein, helfen dabei, den Lösungsraum zu erweitern. Beispiele: „Was haben wir in der letzten Umsetzungsphase gelernt?“, „Wie ist es zur aktuellen Situation gekommen?“, „Wann/wo/wie oft ist das Problem bisher aufgetreten?“

Tipp 2: Perspektivenwechsel ist ein probates Mittel im Innovationsprozess, um neue Einsichten zu gewinnen. Dazu sind Fragen wie diese hilfreich: „Wie würde … entscheiden?“, „Wie würde sich die Situation aus Sicht von … darstellen?“, „Was würde unser Wettbewerb zu … sagen?“

Tipp 3: Es ist auch sinnvoll, unterschiedliche Kontexte oder Szenarien zu beleuchten. Dazu helfen Fragen wie: „Was würden wir tun, wenn Zeit/Geld/Ressourcen keine Rolle spielen würde?“, „Was würden wir tun, wenn unser Geschäftsmodell/Produkt/… nächstes Jahr nutzlos wäre?“

Bildquelle: Seminarunterlagen Peter Siwon

Klammheimlich weicht die Sammellust nach und nach einem gewissen Gefühl der Beklemmung. Willkommen in der sogenannten Groan Zone (Zone des Stöhnens oder Ächzens). Die Vielfalt der gesammelten Lösungs-Puzzlesteinchen, die teilweise gegensätzlichen Meinungen, Einschätzungen und Annahmen und die sichtbar gewordene Komplexität lassen ein Gefühl der Verwirrung und Hilflosigkeit aufkeimen. Sehr oft ist die Stimmung deshalb etwas bedrückt, wenn Teams in dieser Zone angekommen sind. Die erfahrene Workshopleitung, Moderator:in oder Führungskraft erkennt das Erreichen dieser Zone auch daran, dass sich die Kommunikation im Kreis dreht, im Detail verliert und sich eine gewisse Lustlosigkeit breitmacht. Ein guter Zeitpunkt für eine ausgedehnte Denkpause mit Spaziergang an der frischen Luft. Oder noch besser: ein gemütliches Bierchen, Weinchen oder anderes Getränk, bevor man sich ins Bett legt und dem Gehirn Gelegenheit gibt, das Chaos ein wenig zu verdauen.

Frisch erholt starten wir dann den konvergenten Denkprozess. Nun gilt es, die Kurve in Richtung Antwort zu kriegen, die sehr oft auch eine Entscheidung für konkrete Handlungen ist. Das bedeutet beispielsweise, dass wir zusammenfassen, clustern, verdichten, strukturieren, einordnen, priorisieren, bewerten und aussieben. Nach und nach lichtet sich der Wald in der Groan Zone, in dem wir noch gestern herumirrten. Auch hier helfen uns viele schlaue Methoden der systematischen Chaosbewältigung. Wenn alles gut läuft, purzeln am Ende Antworten oder Entscheidungen heraus, mit denen sich alle gut identifizieren können. Nicht zuletzt deshalb, weil wir gemeinsam den Weg aus der düsteren Groan Zone durch den konvergenten Tunnel zurück ans Licht gefunden haben. Das hebt die Laune und fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl. Es kann aber auch passieren, dass sich der konvergente Tunnel in mehrere Röhren aufspaltet und sich im Team keine Einigkeit über den weiteren Weg erzielen lässt. Nun schlägt die Stunde derer, die bereit sind, Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen. Aber dazu gleich noch mehr.

Tipp 4: Auch in der konvergenten Phase ist ein Perspektivenwechsel hilfreich: „Welche Optionen würde ein Optimist/Pessimist/… wählen?“

Tipp 5: Unterschiede dienen dem Erkenntnisgewinn: „Was haben diese Optionen gemeinsam?“, „Welche Möglichkeiten gibt es, sie zu kombinieren?“, „Wie kommen diese Unterschiede zustande?“, „Auf welcher Grundlage bist Du zu dieser Meinung gekommen?“, „Was lernen wir aus diesem Unterschied?“

Tipp 6: Übergeordnete Kategorien und Kriterien helfen dabei, ähnliche Ansätze zur Beantwortung einer Frage, Lösung eines Problems, Definition einer Maßnahme etc. zu sammeln und zu ordnen (clustern). Beispielsweise: kurzfristige Lösungen mit wenig Aufwand, technische Ansätze, organisatorische Ansätze, Eigenleistung, Fremdleistung, …

Die Qual der Wahl

Die Wahrscheinlichkeit, dass wir durch Methoden des divergenten und konvergenten Denkens zu einer eindeutigen, unumstrittenen Antwort kommen, ist bei komplexen, zukunftsgerichteten Fragestellungen eher unwahrscheinlich. Es gibt schlichtweg zu viele Unsicherheiten. Zum einen dadurch, dass wir nicht über eine objektive und vollständige Informationsbasis verfügen. Zum anderen sind künftige Entwicklungen aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen in komplexen Systemen sehr schwer einschätzbar. Immer wieder werden wir auf der Reise durch die konvergenten Denkzonen an Weggabelungen kommen, an denen wir Entscheidungen treffen müssen, weil dort kein Wegweiser „Hier geht´s lang“ steht. An dieser Stelle ist es hilfreich, sich über das Wesen von Entscheidungen Gedanken zu machen.

Videotipp: Das Wesen der Entscheidung

Eine Entscheidung ist immer notwendig, wenn es mehrere Optionen gibt, den Weg fortzusetzen. Keine Option bietet eine hundertprozentige Sicherheit. Wir können die Erfolgswahrscheinlichkeit und Risiken bestenfalls abschätzen und vergleichen. Doch selbst wenn wir die Option wählen, die zu 99% Erfolg verspricht, können wir scheitern. Das ist der Witz beim Entscheiden: Sie ist immer mit dem Risiko verbunden, dass sie nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Alles, was wir tun können, ist dieses Risiko so gut es geht zu begrenzen, ohne die Kosten oder den Zeitaufwand für das Entscheiden unverhältnismäßig in die Höhe zu treiben. Allerdings bekommen wir für die Bereitschaft, uns schnell genug zu entscheiden, Gegenwerte, die nicht zu verachten sind: Handlungsfähigkeit, Handlungsspielräume und die Möglichkeit, wertvolle Erfahrungen zu sammeln.

Entscheidungen verwandeln Unsicherheit in Handlungsfähigkeit. Der Preis ist das Risiko der Fehlentscheidung und die Verantwortung, die wir dafür übernehmen.

Doch denken wir noch etwas weiter darüber nach. Was bedeutet es, wenn eine Entscheidung nicht zum erwünschten Ergebnis führte? Es sagt nicht zwingend aus, dass eine andere Entscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung zum gewünschten Ergebnis geführt hätte. Es bedeutet auch nicht, dass die Entscheidung falsch war, denn selbst wenn wir vernünftigerweise die Option mit der höchsten Erfolgswahrscheinlichkeit wählen, können wir Pech haben. Umgekehrt können wir bei Entscheidungen mit einer unvernünftig geringen Erfolgswahrscheinlichkeit Glück haben. Lottospielen ist statistisch gesehen total unvernünftig – außer man knackt den Jackpot.

Tipp 7: Sprechen Sie, wenn es um Entscheidungen geht, nicht über falsch oder richtig, sondern über Erfolgswahrscheinlichkeiten, Risiken und Chancen.

Tipp 8: Nehmen Sie Einwände an einer Entscheidungsoption ernst. Erklären Sie, warum die Option trotzdem gewählt wurde, und zeigen Sie, wann und wie die Option bei der Umsetzung im Sinne der Einwände überprüft wird: „Wir werden das von Dir genannte Risiko durch eine wöchentliche Betrachtung von … im Auge behalten.“

Tipp 9: Wenn eine Entscheidung nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat, dienen Fragen mit „was“ oder „wie“ einem lösungsorientierten Ansatz: „Wie ist es zu dem Ergebnis gekommen?“, „Was hat dazu beigetragen, dass die Erwartungen nicht erfüllt wurden?“, „Welche Erkenntnisse haben wir gewonnen, die die Erfolgswahrscheinlichkeit künftiger Entscheidungen dieser Art erhöhen könnten?“

Um zu gewinnen, sind wir in harten Wettbewerbssituationen möglicherweise gezwungen, Risiken einzugehen, die sich bereits in der Grauzone zwischen Vernunft und Leichtsinn bewegen. Schließlich gibt es auch Alles-oder-nichts-Entscheidungen, wenn wir an die Grenzen unserer Existenz gehen müssen, um zu überleben.

Wir können also nur anstreben, Entscheidungen so zu treffen, dass wir kein unverhältnismäßig hohes Risiko eingehen. Doch wie wir gerade gesehen haben, ist die Bandbreite der Verhältnismäßigkeit extrem groß. Lottospielen ist ok, wenn wir uns dadurch nicht in den Ruin stürzen, weil wir aus der Hoffnung auf den Jackpot Haus und Hof verspielen. Es ist durchaus angebracht, den Begriff „Fehlentscheidung“ als irreführend zu betrachten. Besser wäre vielleicht eine Umschreibung wie „Entscheidung mit unerwarteten oder unerwünschten Folgen“.

Ansonsten bieten Entscheidungen immer einen Nutzen. Entweder erzielen wir bei der Umsetzung dadurch ein brauchbares Ergebnis oder gewinnen neue Erkenntnisse. Wir werden später sehen, dass wir durch gutes Timing in der Lage sind, den Aufwand und das Risiko von Entscheidungen in ein vorteilhaftes Verhältnis zum Ergebnis bzw. Erkenntnisgewinn zu setzen. Dieses Bestreben wird noch begünstigt, wenn wir uns im Wechsel entweder voll auf Reflexion-für-Entscheidungsfindung oder voll auf Umsetzung-für-Erfahrungssammlung fokussieren.

Die Prozessgestaltung hat das Ziel, den Wert der Ergebnisse und Erkenntnisse in ein möglichst vorteilhaftes Verhältnis zu dem dafür entstandenen Aufwand und den dafür eingegangen Risiken zu setzen.

Ich hoffe, ich konnte zeigen, wie wichtig es ist, einen Innovationsprozess bewusst zu gestalten. Die Reihenfolge und das Timing von divergenten Denkphasen, konvergenten Denkphasen, Entscheidungsfindung und Umsetzung haben großen Einfluss darauf, wie wir auf dem Weg durch unbekanntes Gelände bei schlechter Sicht unser Ziel erreichen können. Wesentlich ist dabei, dass wir uns einerseits genug Zeit für die Entscheidungsfindung nehmen, indem wir konzentriert über unsere Erfahrungen und die aktuellen Rahmenbedingungen nachdenken. Andererseits müssen wir zügig genug durch Entscheidungen Handlungsfähigkeit herstellen, um dann mithilfe einer konsequenten Umsetzung neue Erfahrungen für künftige Entscheidungen sammeln zu können. Die Risiken, die zwangsläufig mit jeder Entscheidung verbunden sind, lassen sich durch das Timing von Denk-Entscheidungs-Phasen und Umsetzungs-Phasen begrenzen. Die gemeinsame Vorbereitung einer Entscheidung und die zeitlich überschaubare Umsetzung erhöhen die Bereitschaft der Beteiligten, die Umsetzung aktiv zu unterstützen und aufmerksam zu beobachten, auch wenn sie der Entscheidung skeptisch gegenüberstehen. Auf diese Weise lässt sich eine zielorientierte Kombination von Fortschritt in Form konkreter Ergebnisse und Fortschritt durch Erkenntnisgewinn erreichen. Wir nähern uns also nicht nur dem Ziel, sondern werden dabei auch immer besser in der Art, wie wir das tun.

zu Teil1: Der Schlüssel zur Innovation liegt in der Gestaltung der Kommunikation

Im 3. Teil dieser Artikelserie (erscheint voraussichtlich im August) werde ich beschreiben, welche Voraussetzungen wir durch das Prozess-Timing und die prinzipielle Teamstruktur schaffen können, um eine gute Grundlage für Innovation zu schaffen.

[1] Buchtipp: Nicolai Andler, Tools für Projektmanagement, Workshops und Consulting

Infobrief März 2022

Sprache und Innovation

  1. Lesetipp: Die Zauberformeln der Innovation
    Teil1: Sprache, die magische Quelle von Erkenntnis und Energie (Artikel)
  2. Videotipp: Mysterium Kommunikation
    Wahrnehmung und Kommunikation anschaulich erklärt anhand mit einer hilfreichen Metapher: das Improvisationstheater. (Video)
  3. Buchtipp: Homo Deus von Yuval Noah Harari
    Ein geniales Buch, das aus einer Betrachtung von Vergangenheit und Gegenwart interessante Annahmen zur Zukunft von Menschheit und Technologien trifft, über die es sich lohnt nachzudenken. Genauso empfehlenswert ist vom selben Autor: Eine kurze Geschichte der Menschheit.
  4. Weitersagen!
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Innovation

Die Zauber-Formeln der Innovation

Teil 1: Der Schlüssel zur Innovation liegt in der Gestaltung der Kommunikation

„Worte waren ursprünglich Zauber, und das Wort hat noch heute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben.“ (Sigmund Freud)

 

Sprache und InnovationWorte, Sprache und Kommunikation, gepaart mit all den nonverbalen Begleitsignalen, gehören zu den mächtigsten Hilfsmitteln, die der Homo Sapiens erschaffen hat. Wenn wir Menschen für innovative Ziele begeistern wollen, wenn wir dafür ihre Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft und Kreativität aktivieren wollen, wenn wir dazu ein starkes Team entwickeln und erhalten wollen, das mit uns durch dick und dünn geht, dann sollten wir die Magie der Sprache beherrschen. Beherrschen heißt, dass wir nicht nur das großartige Potential ihrer weißen Magie erschließen, sondern uns auch der Gefahren ihrer schwarzen, destruktiven Magie bewusst sind.

Dies ist der 1. Teil einer Artikelserie, die einige Antworten auf folgende Frage geben soll: Wie kann in einem Team die Kommunikation gestaltet werden, um Innovation zu unterstützen. Zunächst werden ich das Mysterium Kommunikation beleuchten, eine geradezu magische Quelle der Erkenntnis und Energie.

Sprache, magische Quelle von Erkenntnis und Energie

Durch Kommunikation tauschen wir uns nicht nur über das aus, was wir für die Realität halten, sondern wir können damit auch fiktive Realitäten erschaffen. Fiktive Realität, das klingt paradox. Doch jeder gute Roman oder Thriller ist ein schlagender Beweis dafür, dass Fiktion nachweislich reale und starke Gefühle der Freude, Trauer, Neugier, Wut oder Angst erzeugen kann. Bei vielen Menschen laufen beim Lesen sogar innere Bilder und Episoden vor dem geistigen Auge ab. Genau genommen erzeugt unser Gehirn aus den Signalen, die die Sinnesorgane liefern, immer eine fiktive Realität – unabhängig davon, ob wir die reale Welt beobachten, einen Film sehen, eine Geschichte hören oder ein Buch lesen. Das hat große Vorteile, wenn es um Innovation geht, denn wir können fiktive Welten erschaffen und uns über sie austauschen.

Theater-Metapher der Kommunikation

Dies lässt sich sehr gut mit einer Metapher erklären: Der menschliche Körper gleicht einem Improvisationstheater. In dem Theater spielen Schauspieler (Neuronen und Hormone) spontan Szenen nach, die sie von der Bühne aus durch ein kleines Fenster (Sinnesorgane) auf dem Platz vor dem Theater beobachten können. Was auf der Bühne präsentiert wird, hängt u.a. von folgenden Faktoren ab: Wie genau haben die Schauspieler beobachtet (Aufmerksamkeit)? Wie gut konnten sie sich in die Szene hineinversetzen (Empathie)? Wie sind sie stimmungsmäßig drauf (Emotionen)? Welche Requisiten stehen zur Verfügung (Wissen, Erfahrungen)? Dieselbe Szene wird dann beispielsweise als ausschweifendes Drama, unterhaltsame Komödie, avantgardistisches Verwirrstück oder kurzer Sketch vor kargem oder üppigem Bühnenbild inszeniert. Das Publikum (Bewusstsein), das selbst nicht durch das Fenster schauen kann, verfolgt das Schauspiel auf der Bühne. Für dieses spezielle Publikum ist das Schauspiel die Realität. Es kennt keine andere Realität, weil es von Geburt an an den Theatersitz gefesselt ist. Wenn es Zweifel hat, ob die Inszenierung der Realität vor dem Fenster entspricht, kann es nur die Schauspieler bitten, nochmals kritisch aus dem Fenster zu blicken, um dann das Stück nochmals aufzuführen.

Diese Erklärung gibt es auch als Video.

Fazit: Was im Bewusstsein ankommt, ist und bleibt Fiktion – völlig unabhängig davon, wie oft die Schauspieler gebeten werden, nochmal aus dem Fenster zu schauen.

Das stellt uns bei der Kommunikation vor große Herausforderungen: Sender und Empfänger sitzen gefesselt auf ihrem Theatersessel. Wenn ich kommunizieren will, schicke ich meine Boten (Körperfunktionen, die z.B. Mimik, Gestik und Sprache steuern) vor das Fenster des Theaters meines Zielpublikums, um dessen Schauspielern eine Szene vorzuspielen. Das geschieht in der Absicht und Hoffnung, dass diese Schauspieler in der Lage sind, ein Bühnenstück aufzuführen, mit dem das Zielpublikum kapiert, was ich mitteilen will. Wenn mir das Publikum nun etwas erwidern will, dann muss es seine Boten vor das Fenster meines Theaters schicken usw.

Ganz schön kompliziert! Kein Wunder, dass bei der Kommunikation so häufig unerwartete und unerwünschte Ergebnisse erzielt werden. Missverständnisse und Verwirrung sind ihre ständigen und leider praktisch unvermeidlichen Begleiter. Kommunikation wird dadurch immer ein Stück weit ein Mysterium bleiben. Gleichzeitig wirkt es wie Magie, dass wir nur durch Worte in Form von Tonfolgen oder Schriftzeichen in der Lage sind, lebendiges Theater auf der Bühne unserer Kommunikationspartner zu inspirieren. Damit eröffnet uns die Sprache, vor allem wenn es um Innovation geht, erstaunliche Möglichkeiten – wenn wir sie geschickt einsetzen. Gleichzeitig birgt sie aber auch dramatische Gefahren, wenn wir ihre Macht unterschätzen.

Worte können Zuversicht, Vertrauen, Freude, Neugier, Einsatzbereitschaft, Verantwortungsgefühl, Leistungsbereitschaft u.v.m. erzeugen und vernichten. Worte sind wie Zauber, doch wir sollten uns bewusst sein, dass sie als weiße Magie das Beste in den Menschen wecken und als schwarze Magie unglaublich zerstörerisch wirken können. Wenn wir den Sprach-Geist aus der Flasche lassen, sollten wir dies also mit der nötigen Umsicht tun.

Unterschiede als Erkenntnis-Quellen der Innovation

Ich befasse mich seit vielen Jahren mit der Kommunikation in Unternehmen, Teams und Projekten. Einigkeit und Harmonie erscheinen die idealen Voraussetzungen für den Erfolg zu sein. Wenn diese Einigkeit und Harmonie ein vorherrschender oder dauerhafter Zustand sind, der auch unisono beschworen wird, dann werde ich misstrauisch und skeptisch. Entweder haben sich hier Menschen gefunden, die extrem gleich ticken oder einer von ihnen tickt so laut, dass alle anderen ihr eigenes Ticken nicht mehr hören können oder es nicht hören dürfen. Beides ist wenig hilfreich, denn dadurch tickt die Uhr der Innovation langsamer oder bleibt sogar stehen. Warum sehe ich das so?

Innovation entsteht dadurch, dass wir alte Denkmuster aufbrechen und unseren Horizont erweitern. Anders ausgedrückt und um im Bild der Theatermetapher zu bleiben: Wir sind bereit, in unserem Theater Requisiten, Bühnenelemente und Repertoire anzupassen oder zu ergänzen. Vielleicht stellen wir sogar neue Schauspieler ein. Das funktioniert am besten, wenn wir uns im Sinne eines gemeinsamen Ziels offen und gleichberechtigt über die verschiedenen Möglichkeiten einer Inszenierung austauschen. So helfen wir uns gegenseitig nicht nur dabei, dass in unseren Theatern professionellere und vielfältigere Aufführungen stattfinden, sondern auch besser zu verstehen, was in anderen Theatern gespielt wird. Die unterschiedlichen Formen der Inszenierung werden so zur Quelle der Erkenntnis.

Tipp 1: Ein sehr wirksames Hilfsmittel, um meinem Kommunikationspartner zu zeigen, was in meinem Theater aufgrund seiner Beschreibung oder Erklärung ankommt, ist eine Wiederholung in eigenen Worten oder die Zusammenfassung in Form einer Skizze.

Tipp 2: Es ist oft auch hilfreich, dem Kommunikationspartner dabei zu helfen, sich vorzustellen, was in meinem Theater gespielt wird. Beispielsweise helfen dabei Fragen wie „Wie würdest Du die Situation einschätzen, wenn Du meine Rolle spielen müsstest?“ oder „Wie würdest Du die Sache bewerten, wenn folgende Bedingungen gelten?“

Tipp 3: Je mehr Sinne wir bei unserer Kommunikation ansprechen, desto offensichtlicher werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten.

Tipp 4: Nehmen Sie die Haltung einer neugierigen, unwissenden Person ein. Diese Haltung hilft uns dabei, anderen unvoreingenommen zuzuhören. Gleichzeitig erhöht sie die Bereitschaft des Kommunikationspartners, dasselbe zu tun.

Es ist immer wieder erstaunlich, welche Vielfalt an Erfahrungen, Wissen, Ideen, Emotionen, Meinungen etc. aus den Köpfen heraussprudeln, wenn Menschen es schaffen, diese Quelle der Innovation zu erschließen.

Leider geschieht oft das Gegenteil: Unterschiede werden als Bedrohung der eigenen kleinen Theaterwelt gesehen, gegen die man sich wehren muss. Dann wird die Kommunikation zum Schlachtfeld, auf dem verbal attackiert und mit scharfer Rhetorik zurückgeschossen wird.

Bedürfnisbefriedigung als Booster der Innovation

Die Gefahr eines persönlichen Konflikts ist besonders groß, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Bedürfnisse nicht angemessen beachtet werden oder gar unter die Räder kommen könnten. Beispielsweise werden Meinungsunterschiede wechselseitig als fehlende Wertschätzung empfunden. Einwände werden als Verletzung des Selbstwertgefühls oder Unterminierung der Autorität wahrgenommen.

Das führt uns zu weiteren wichtigen Funktionen der Kommunikation: die Schaffung, Erhaltung und Steigerung tragfähiger Beziehungen zwischen Menschen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen. Menschen verbinden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Innovation mit unterschiedlichen persönlichen Zielen, Interessen und Bedürfnissen. Bei einer Person spielen Sicherheit und Stabilität eine Schlüsselrolle, bei einer anderen überwiegen die Bedürfnisse nach Veränderung und Erkenntnisgewinn, und wieder andere werden vor allem von sozialen Bedürfnissen wie Vertrauen und Loyalität getragen. Darüber hinaus schwingen bei jeder Person mehr oder weniger stark viele weitere Bedürfnisse mit.

Jede Person entwickelt ihre individuellen Empfindlichkeiten, wenn es um ihre Bedürfnisse geht. Jede Person hat auch ihre eigene Strategie, mit der sie für ihre Bedürfnisse kämpft oder sie verteidigt. Die einen tun es eher aggressiv und fordernd, die anderen eher zurückhaltend und flehend. Damit nicht genug! Die Empfindlichkeiten für die einzelnen Bedürfnisse und die Reaktionen bei ihrer Gefährdung können abhängig von Situation und Befindlichkeit stark variieren. Was an einem Tag locker weggesteckt werden kann, führt an einem anderen Tag zum emotionalen KO. Das alles hat verständlicherweise eine höchst komplexe Bedürfnis-Wechselwirkung in einem Team zur Folge. Die Art der Kommunikation ist entscheidend dafür, ob sich ein explosives Bedürfnisgemisch entwickelt, das das Team sprengt, oder ob ein für alle genießbarer Bedürfniscocktail gemischt wird, mit dem man gerne auf eine vielversprechende Zukunft anstößt.

Bedürfnisse sind unsere Energie-Quelle. Nur wenn wir glauben, dass wir durch Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel auch viele unserer Bedürfnisse befriedigen können, dann werden wir uns engagieren. Wenn sich diese Hoffnung auf dem zurückgelegten Weg zum Ziel immer wieder bestätigt, wird die Energie-Quelle für die nächsten Etappen dieses Weges weiter sprudeln. Bedürfnisorientierte und damit wertschätzende Kommunikation kann wertvolle Energie für Innovation erschließen und auf ein Ziel bündeln. Das gelingt, wenn sie Menschen auf dem Weg zum Ziel und am Ziel dabei hilft, sich gegenseitig Bedürfnisse, wie z.B. Zugehörigkeit, Anerkennung, Augenhöhe oder persönliche Entwicklung, zu erfüllen. Wir haben viele Möglichkeiten, durch unser Kommunikationsverhalten auf sehr einfache Weise wichtige Bedürfnisse zu befriedigen.

Tipp 5: Eines der besten Beispiele ist aktives Zuhören. Es bedient Bedürfnisse wie Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Empathie, Vertrauen und Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig hilft es dabei, die Gefahr von Missverständnissen zu verringern.

Tipp 6: Eine weitere sehr hilfreiche Methode ist die Wiederholung des Gehörten mit eigenen Worten. Auch hier drücken wir nicht nur Wertschätzung aus, sondern machen Missverständnisse sichtbarer.

Tipp 7: Wenn wir Entscheidungen treffen, versuchen wir, Kriterien zu finden, die wichtigen Bedürfnissen verschiedener Teammitglieder gerecht werden. Beispiele: Wir bedienen das Bedürfnis nach Sicherheit, indem wir das Risiko der Entscheidung bewerten. Wir befriedigen das Bedürfnis nach Erkenntnisgewinn und Veränderung, indem wir den Erfahrungszuwachs einschätzen, den wir durch die Entscheidung gewinnen können.

Wir werden in den weiteren Folgen dieser Artikelreihe noch viele Beispiele für den Zauber der Worte kennenlernen. Beim nächsten Mal geht es zunächst um die wichtigsten Gestaltungselemente eines funktionierenden Innovationsprozesses.

Den Innovationsprozess gestalten

Quellen und Literaturtipps zum Thema Kommunikation: Link

Infobrief Dezember 2021

Ich wünsche allen Lesern schöne Feiertage und einen gutes Neues Jahr,
Zeit zum Staunen über all die Wunder, die uns täglich begegnen,
und die Ruhe, sie in vollen Zügen zu genießen.

Peter Siwon

  1. Lesetipp: Warum gute Teams nicht vom Himmel fallen
    Wie Teams entstehen, bestehen und reifen können (Link zum Artikel)
  2. Lese- und Videotipp: Agile Prinzipien in Bauprojekten anwenden
    Das Last Planner System® schlägt ein Framework vor, dass hier gut erklärt wird (Link zu Artikel und Video).
    Das Buch „The Lean Builder“ von Donarumo und Zandy erzählt die Geschichte, wie der Bauprojektleiter Sam Brooks sein Projekt durch agile Methoden immer besser in den Griff bekommt.
  3. Buchtipp: Leadership is Language von L. David Marquet
    In „Leadership is Language“, you’ll learn how choosing your words can sometimes dramatically improve decision-making and execution in your team.
  4. Weitersagen!
    Wer mir eine E-Mail mit dem Betreff „Zustimmung Infobrief“
    an buch@systemisches-projektmanagement.info schickt,
    bekommt nach wie vor mein aktuelles Buch „Projektmanagement Espresso“ als pdf-Download geschenkt.

Warum gute Teams nicht vom Himmel fallen

Wie Teams entstehen, bestehen und reifen können

Es gibt eine Schlüsselfrage, wenn es um den Projekterfolg geht: Wie entstehen erfolgreiche Teams? Dieser Vortrag gibt Antworten, die sich sehr anschaulich aus einer systemischen Betrachtung eines Teams ableiten lassen. Dabei wird sich zeigen, dass einer Haltung und zwei Fähigkeiten eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Diese Haltung und Fähigkeiten fallen leider nicht vom Himmel, wie das Bild unten beweist ;-) Wer sie bei der Teamarbeit entdeckt, übt und verinnerlicht, wird reich belohnt. Damit wir hier nicht über Mogelpackungen und Eintagsfliegen sprechen, konkretisiere ich zuerst einmal, was aus meiner Sicht erfolgreich bedeutet:

  1. Die Teammitglieder stellen sich mit ihren Fähigkeiten in den Dienst eines gemeinsamen Ziels, mit dem sich jedes von ihnen auf seine Weise identifiziert.
  2. Die Teammitglieder entwickeln und nutzen dabei Werte, Regeln, Strukturen und Prozesse, die es ihnen ermöglichen, so zu kommunizieren, zu entscheiden und zu handeln, dass sie ihre Ziele mit hoher Eigenverantwortlichkeit verfolgen können.
  3. Das Team ist in der Lage, sich den Anforderungen und Veränderungen ihres Umfelds schnell genug anzupassen, um darin bestehen zu können. Dieses Umfeld wird beispielsweise durch das eigene Unternehmen, die Kunden, den Wettbewerb oder ökonomische, gesellschaftliche oder ökologische Rahmenbedingungen geprägt.
  4. Das Team ist einerseits fähig, sich aus dieser Umwelt ausreichend mit Ressourcen und Informationen zu versorgen. Andererseits kann es sich wirksam gegen schädliche oder störende Einflüsse schützen.
  5. Das Team ist in der Lage, durch einen gemeinsamen Lernprozess seine Leistung zu steigern und noch ungenutzte Potentiale zu entdecken und zu nutzen.

Diese Erfolgsmerkmale fallen allerdings nicht vom Himmel. Sie entstehen durch eine komplexe Interaktion von Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei ein erfolgreiches Team hervorgeht, ist wesentlich davon abhängig, wie die Beteiligten es schaffen, folgende Fähigkeiten gemeinsam zu nutzen und immer weiter zu verfeinern:

Die Fähigkeit, …

… ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln

… sich offen und zielorientiert über Einsatz und Verantwortung auszutauschen

… sich offen und zielorientiert über Leistung auszutauschen

… sich offen und zielorientiert über die Förderung von Potentialen auszutauschen

Oder schlichter ausgedrückt: wie gut es die Beteiligten schaffen, sich zivilisiert zugunsten eines gemeinsamen Ziels zusammenzuraufen.

Schauen wir uns das im Folgenden noch etwas genauer an. Dabei wird schnell klar, dass diese Fähigkeiten aufeinander aufbauen und sich gegenseitig beeinflussen.

Die Fähigkeit, ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln

Ohne Zugehörigkeit existiert kein Team. Das Gefühl der Zugehörigkeit entsteht dadurch, dass die Teammitglieder sich gegenseitig dabei helfen, wichtige Bedürfnisse, wie Vertrauen, Loyalität, Anerkennung, Weiterentwicklung oder Sicherheit, zu befriedigen. Letztlich ist ein erfolgreiches Team eine Zweckgemeinschaft auf der Bedürfnisebene. Jedes Mitglied hofft zunächst darauf, dass es im Team bessere Chancen hat, seine Bedürfnisse zu befriedigen als ohne Team. Wenn durch gegenseitiges Kennenlernen und erste gemeinsame Aktivitäten diese Hoffnung eine Bestätigung findet, entwickelt sich ein Gefühl der Zugehörigkeit. Beispielsweise wird erkennbar, dass ein freundlicher Umgang gepflegt wird, strukturiert und zielorientiert gearbeitet wird und die Leute hilfsbereit und humorvoll sind.

Die Nagelprobe für das Zugehörigkeitsgefühl sind Situationen, in denen die Bedürfnisse von Teammitgliedern in Konflikt geraten, beispielsweise wenn das Sicherheitsbedürfnis einer Person den Drang nach Erkenntnis einer anderen bremst. Wenn ein Team dann in der Lage ist, solche Konflikte immer wieder so zu lösen, dass dadurch die positive Bedürfnisbilanz aller Beteiligten erhalten bleibt, dann wächst das gegenseitige Vertrauen im Team. Das Team begreift Konflikte als natürliche Begleiter der Teamarbeit und besitzt die Fähigkeit, sie als Quelle der Erkenntnis und Weiterentwicklung zu nutzen. Dadurch entsteht eine besondere Qualität von Vertrauen und Zugehörigkeit. Es zeigt sich: Was uns unterscheidet kann uns stärker verbinden, wenn wir nur lernen, den Unterschied als Ressource zu erkennen und zu nutzen. Das finde ich sehr bemerkenswert.

Wie kann Zugehörigkeit praktisch gefördert werden? Zunächst ist es wichtig, dass sich die Menschen in entspannter Atmosphäre kennenlernen können. Es gibt viele unterhaltsame Methoden des ersten Kennenlernens. Im Internet oder Buchhandel finden sich dazu viele Anregungen. Im nächsten Schritt empfiehlt es sich, dass die künftigen Teammitglieder gemeinsam in kleinen Gruppen Aufgaben lösen, die sie durchaus fordern, aber ihnen auch ein gemeinsames Erfolgserlebnis bescheren. Rituale wie gemeinsame Kaffee- und Mittagspausenpausen, der Geburtstagskuchen, das Feiern von Zwischenergebnissen etc. fördern Beziehungsaufbau und -erhaltung. Wenn es um das Ansprechen und Lösen von Meinungsverschiedenheiten und Konflikten geht, ist vor allem die Führungskraft gefragt. Sie sollte sich hierzu unbedingt schlau machen.

Das Gefühl der Zugehörigkeit bahnt den Weg für eine weitere Voraussetzung erfolgreicher Teams. Denn ohne das Gefühl der Zugehörigkeit kann keine wirkliche Bereitschaft wachsen, sich für andere Teammitglieder und das gemeinsame Ziel einzusetzen und Verantwortung zu übernehmen.

Offener und zielorientierter Austausch über Einsatz und Verantwortung

Erwartungen werden klar ausgesprochen. Erbrachter Einsatz und übernommene Verantwortung werden gewürdigt. Abweichungen zwischen erwartetem oder vereinbartem Einsatz und erbrachtem Einsatz werden thematisiert. Das Gleiche gilt für die Verantwortung. Ziel dieses offenen Umgangs ist es, sich gegenseitig in der Bereitschaft zu Einsatz und Verantwortung durch angemessene Würdigung zu bestärken oder dabei zu helfen, dass jedes Teammitglied seinen angemessenen Beitrag leisten kann und will.

Dass dieser offene Umgang zu Meinungsverschiedenheiten und auch harten Diskussionen führen kann, liegt in der Natur der Sache. Die Entwicklung wertschätzender und lösungsorientierter Wege der Konfliktlösung stellt damit den entscheidenden Reifeprozess eines Teams dar.

Ein Team, in dem jede Person sich für die gemeinsamen Ziele und seine Teammitglieder einsetzt und Verantwortung übernimmt, entwickelt eine hohe Immunkraft gegen Krisen, Rückschläge und andere herausfordernde Situationen. Engagierter Einsatz und entschlossene Übernahme von Verantwortung schaffen außerdem die Voraussetzungen, dass auch wirksam Leistung erbracht wird.

Einsatz und Leistung: Es ist an dieser Stelle wichtig, dass wir zwischen Einsatz und Leistung unterscheiden. Einsatz ist jeder Beitrag, der in irgendeiner Form dem Team dient – unabhängig davon, ob das Ergebnis einen unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen hat. Dies kann ein aufmunterndes Wort sein, die Einarbeitung einer neuen Kollegin, die Beteiligung an einer Diskussion oder die Lösung eines Konflikts. Einsatz schafft wichtige Voraussetzungen, dass Leistung möglich ist. Sie muss allerdings nicht zwangsläufig dazu führen. Leistung stellt einen messbaren Output dar, z.B. die Anzahl produzierter Geräte oder die verrechenbare Dienstleistung. Leider wird sehr häufig bei Leistungen, die nicht den Erwartungen entsprechen, der Einsatz ignoriert oder nicht angemessen gewürdigt. Dadurch wird die Basis für künftige Erfolge untergraben.

Offener und zielorientierter Austausch über Leistung

Für die Leistung gilt das Gleiche wie für Einsatz und Verantwortung. Nur wenn im Team offen und wertschätzend über erwartete, vereinbarte und erbrachte Leistung gesprochen wird, können die Teammitglieder sich gegenseitig entweder in ihrem Leistungswillen bestärken oder darin unterstützen, ihre Leistungsfähigkeit zu steigern.

Offener und zielorientierter Austausch über Potentiale

In vielen Teams schlummern Fähigkeiten oder Talente, die entweder nicht genutzt werden oder noch gar nicht entdeckt wurden. In der Regel trifft das für jedes Teammitglied zu. Wenn ein Team nicht nur bestehen, sondern sich auch immer wieder erneuern will, spielen die Entdeckung und Nutzung von Potentialen eine bedeutende Rolle. Das erfordert den offenen Austausch darüber, welche Personen aufgrund ihrer Talente in welcher Weise zum Nutzen des Teams gefördert werden. Dabei müssen die Talente und Personen Vorrang haben, die für die Ziele des Teams und die Bedürfnisse der Teammitglieder insgesamt den größten Nutzen versprechen.

Kernkompetenz: Wertschätzender Umgang mit Unterschieden

Der offene Umgang mit Einsatz, Verantwortung, Leistung und Talent heißt auch, dass wir mit unterschiedlichen Meinungen oder Empfindlichkeiten konfrontiert werden. In der Offenlegung dieser Unterschiede und der Bereitschaft, uns mit diesen Unterschieden aktiv zu befassen, um eine Lösung zu finden und dann auch gemeinsam zu tragen, liegt eine entscheidende Kernkompetenz erfolgreicher Teams.

An dieser Stelle lohnt es sich, ein paar Gedanken zum Thema Wertschätzung anzureißen. Ist es wertschätzend, eine Person über unsere Einschätzung ihres Einsatzes, ihrer Verantwortungsbereitschaft oder Leistung im Dunkeln zu lassen oder sie gar zu belügen? Ist es wertschätzend, wenn wir so tun, als würden alle denselben Einsatz leisten, die gleiche Verantwortung tragen und die gleiche Leistung erbringen, obwohl das nicht der Fall ist? Ich glaube, die Antwort ist ein klares NEIN!

Warum liegt die Hemmschwelle so hoch, über Einsatz, Verantwortung, Leistung und Potential offen und konkret zu sprechen?

Es liegt wohl u.a. daran, dass wir (nicht zu Unrecht) glauben, dass viele Menschen kritische Rückmeldungen als beleidigend oder beschämend empfinden, sogar als Infragestellung ihrer ganzen Person. Möglicherweise glauben wir das auch, weil wir diese Reaktion auf kritische Bemerkungen bei uns selbst beobachten. Die Ursache: Der Selbstwert vieler Menschen ist aufgrund der Sozialisierung in Familie, Freundeskreis, Ausbildung und Beruf häufig eng mit der Erfüllung von Erwartungen von Eltern, Freunden und Freundinnen, Lehrerkräften und Vorgesetzten verknüpft. Nichterfüllte Erwartungen werden allzu oft auf der Beziehungsebene mit Liebesentzug, Ausgrenzung oder Geringschätzung geahndet. So entsteht eine fatale Wechselwirkung: Wenn eine Person sich durch Rückmeldungen zu ihrem Verhalten sich als Mensch in Frage gestellt fühlt, reagiert sie mit Gegenangriff, Abwehr oder Verschlossenheit. In Erwartung, dass es zu solchen Reaktionen kommen könnte, scheuen sich die Mitmenschen, sich offen zu äußern. Dies führt dazu, dass sich der Unmut über ein Verhalten oft sehr lange in diesen Mitmenschen aufstaut. Irgendwann ist aber die Hemmschwelle überschritten. Dann brechen Vorwürfe, Frust, Ärger oder Wut möglicherweise unkontrolliert und hemmungslos heraus. Das wiederum bestätigt die Person darin, dass sie abgelehnt wird. Entsprechend heftig fällt ihre Gegenreaktion aus. Eine weitere Eskalation ist sehr wahrscheinlich.

Ein weiterer Grund für die Höhe der Hemmschwelle liegt darin, dass sich noch zu viele Menschen in solchen Situationen unsicher fühlen. Wie sag ich´s? Wann sage ich´s? Wo sage ich´s?  Es fehlt an geeigneten Formulierungen, Vorgehensweisen oder schlichtweg an der Übung sie anzuwenden. Bevor ich etwas Falsches sage, halt ich lieber den Mund. Hier findet sich ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, um Teams erfolgreich zu machen: Erlernen, Üben und Verinnerlichen von Methoden des wertschätzenden und lösungsorientierten Umgangs mit Meinungsverschiedenheiten und Konflikten.

Haltung und methodische Kompetenz als Schlüssel zum Erfolg

Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Team werden durch die Förderung des Zugehörigkeitsgefühls und den offenen Austausch über Einsatz, Verantwortung, Leistung und Potential geschaffen. Ziel ist dabei die ehrliche und konkrete Wertschätzung zur Stärkung und die gegenseitige Unterstützung zur Weiterentwicklung entscheidender Erfolgsfaktoren von Teams. Dabei spielt die Fähigkeit des Teams, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte wertschätzend und lösungsorientiert anzugehen und zu lösen eine Schlüsselrolle. Dafür gibt es bewährte Methoden, die sich erlernen und üben lassen. Auch bei dem dafür notwendigen Einsatz für die Teamentwicklung können sich die Teammitglieder gegenseitig bestärken und helfen. Die beste innere Haltung dabei ist, dass unterschiedliche Interessen, Meinungen oder Bedürfnisse keine Bedrohung, sondern eine Quelle der Erkenntnis und Weiterentwicklung darstellen. Diese Haltung und ihre praktische Umsetzung fallen leider nicht vom Himmel. Doch wer sich auf den Weg macht, sie zu entdecken, zu üben und zu verinnerlichen, wird reich belohnt.

Viel Erfolg bei der Projektarbeit

wünscht Peter Siwon