Ergänzungen zum Buch „Die menschliche Seite des Projekterfolgs“
von Peter Siwon, dpunkt.verlag, 2010
Das Thema Neurologie, Psychologie und Projektmanagment ist ständig im Fluss. Damit Sie als Leser meiner Publikationen von meinen aktuellen Erkenntnissen und Erfahrungen profitieren können, habe ich das wichtigste und interessanteste auf dieser Website für Sie zusammengestellt.
Burnout
06/2013 Peter Siwon: Der Begriff Burnout begegnet uns in den letzten Jahren sehr häufig. Nicht immer ist klar, wie dieses Phänomen einzuordnen ist. Wie lässt sich Viel-zu-tun, Stress oder Depression von Burnout unterscheiden? Welche Ursachen lassen sich identifizieren und schließlich, was ist zu tun, wenn Burnout-Verdacht besteht?
Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei Burnout um keinen Zustand, sondern einen Prozess handelt, der auf einen Zustand völliger Erschöpfung zuläuft. Im Prinzip wird dieser Prozess dadurch in Gang gesetzt, dass ein Mensch in eine Problemlösung, eine Aufgabe, eine Beziehung, etc. mehr Energie investiert als er auf Dauer durch Verbesserung der Situation oder ausreichende Regeneration zurückgewinnen kann. Anhaltende psychische Überforderung ist eine wesentliche Ursache für die Eskalation des Burnout-Prozesses. Das Resultat: zunehmende körperliche, emotionale, psychische und soziale Erschöpfung. Im Vergleich zur Depression besteht allerdings hierbei ein starkes Kampfmuster, mit dem sich der Betroffene den Erschöpfungssymptomen entgegenstemmt. Dies kann dazu führen, dass gerade engagierte Leistungsträger die Anzeichen von Burnout lange ignorieren. Wenn ihnen aufgrund massiver Erschöpfungszustände dämmert, dass es so nicht weiter gehen kann, wird weiterhin versucht den Schein zu wahren, um nicht als Schwächling zu gelten oder aus Angst die mit großem Einsatz erarbeiteten Status zu verlieren. Im Gegensatz dazu, führt eine Depression meist zu antriebsloser Apathie. Neben den schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen stellt Burnout allerdings auch ein wachsendes volkswirtschaftliches Problem dar. Die Gesellschaft verliert einerseits wichtige Leistungsträger und andererseits wird das Gesundheitssystem belastet. Doch schon auf dem Weg zum Zusammenbruch ist der Flurschaden nicht zu unterschätzen. Burnout-Gefährdete reagieren nicht selten arrogant und aggressiv. Sie neigen zu Ungeduld, Intoleranz und Kontrollwahn. Die Folgen für Betriebsklima und Teamgeist sind auf Dauer destruktiv. Gewünschte Eigenschaften wie Loyalität, Leistungsbereitschaft und Pflichtbewusstsein mutieren zu Konflikten und Leistungsverlust, weil diese Menschen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Übertriebenes Pflichtbewusstsein und Selbstvernachlässigung führen letztlich zu beruflicher, privater und körperlicher Selbstzerstörung mit teilweise massiven negativen Wirkungen auf das berufliche und private Umfeld.
BurnoutsignaleStufe 1: Arbeits- und Leistungsfähigkeit sinken Verlust von Konzentrationsfähigkeit, Kreativität und Motivation. Zunahme von Vergesslichkeit, Fehlerrate, Gefühl der Überforderung Stufe 2: mentale und emotionale Stabilität sinken Zunahme von Nervosität, innerer Unruhe, andauerndes ergebnisloses Grübeln, Stimmungsschwankungen, Gefühl von Sinnlosigkeit, Gefühl der Niedergeschlagenheit, Unsicherheit, Selbstzweifel, Angst, Panik, Verzweiflung (bis hin zu Selbstmordgedanken.Stufe 3: Körperliche Leistungsfähigkeit sinkt Steigende Infektionsgefahr und Genesungsdauer, Kraftlosigkeit, chronische Erschöpfung, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Abnahme der Libido, Stoffwechselstörungen (Übergewicht, Untergewicht), psychosomatische Krankheitsbilder (z.B. organische, muskuläre Störungen, Migräne, etc.)Stufe 4: Verlust sozialer Kompetenz Zunahme von Gereiztheit, Aggressivität, Dünnhäutigkeit Verlust von Toleranz, Empathie, Kommunikationsfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Teamfähigkeit, sozialer Rückzug |
Auslöser
Der Auslöser für Burnout liegt häufig an der fatalen Kombination von Herausforderungen, die die Umgebung stellt und Ansprüchen, die Menschen an sich selbst stellen. Es sind viele Ursachen denkbar, die dazu führen, dass das Thema Burnout in den letzten Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt: Immer mehr Menschen sind durch die Beschleunigung des Arbeitstempos und dem wachsenden Leistungsdruck bei gleichzeitigem Anstieg der Stör- und Veränderungsfrequenz beispielsweise durch moderne Kommunikationsmittel stark gefordert. Gleichzeitig besteht eine häufig verminderte Sicherheit durch familiäre, gesellschaftliche und kulturelle Haltepunkte. Irgendwie scheint alles im Fluss zu sein. Hinzu kommen Glaubenssätze und sogenannte innere Antreiber, die sich durch Kultur oder Erziehung in der Psyche festgesetzt haben und die Erwartungen der Menschen an sich selbst bestimmen. Beispiele hierfür sind: Sei perfekt! Du bist nur etwas wert, wenn Du Deine Pflicht erfüllst! Zeig keine Schwäche! Mach schnell! Streng Dich an!
Die Kombination aus geringem Selbstwertgefühl und hohem Perfektionsstreben stellt wie Nitro und Glyzerin einen selbstzerstörerischen Sprengsatz dar. Die Entschärfung ist aufgrund der tief in der Psyche gekapselten Ursachen oft schwierig und langwierig und bedarf professioneller Unterstützung. Im Persönlichkeitsfragebogen AVEM, der oftmals zur Diagnostik von Burnout oder eines Burnout-Risikos verwendet wird, werden zwei persönlichkeitsspezifische Muster arbeitsbezogenen Verhaltens dargestellt, die das Risiko einer Burnout-Erkrankung erheblich steigern:
Typ A: überhöhtes Engagement, Kampf, eingeschränkte Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Arbeitsproblemen, verminderte psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, eingeschränktes Lebensgefühl, negative Gefühle.
Typ B: reduziertes Engagement, Opferrolle, eingeschränkte Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Arbeitsproblemen, starke Resignationstendenz, Antriebslosigkeit, Hoffnungslosigkeit, verminderte psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, eingeschränktes Lebensgefühl.
Typ A hat also vereinfacht gesagt viel Arbeit und wenig Spaß. Typ B verbindet geringes Engagement mit Niedergeschlagenheit.
Eine große Rolle spielt auch die erlebte Autonomie. Es hängt in der Regel nicht von der Menge der Arbeit ab, ob eine Person an Burnout erkrankt. Vielmehr spielt es eine Rolle, wie sehr eine Person das Gefühl hat, Herr über seine berufliche Situation zu sein. Dazu gehört die individuell richtige Mischung von Freiräumen (z.B. Mitsprache, Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume) und unternehmerischen Rahmenbedingungen (Arbeitsprozess, Rolle, Zuständigkeiten). Es gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten von Führungskräften, für jeden Mitarbeiter die geeignete Dosis von Autonomie und Führung zu finden.
Prävention
Prävention beginnt bei der Bereitschaft Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, Anzeichen von Müdigkeit, Erschöpfung, Ungeduld, Aggression und Arroganz als Warnsignale ernst zu nehmen und aktiv gegenzusteuern. Gönnen Sie sich echte Ruhe, finden Sie eine gesunde wertschätzende Haltung zu sich selbst, trauen Sie sich „ich brauche“, „ich fühle“ und „nein“ zu sagen. Hören Sie auf Ihren Körper und seien Sie ehrlich zu sich selbst. Legen Sie bewusst Ihr Augenmerk auf die vielen kleinen und großen Geschenke der Zuneigung und Anerkennung, die Ihnen Menschen täglich geben. Nehmen Sie sie dankbar an.
Seien Sie aber auch bereit zu geben: ein Lächeln, ein freundliches Wort, ehrliche Anerkennung. Jeder Tag bietet viele Gelegenheiten zum Geben und Nehmen. Ein Experiment bei einem großen Automobilzulieferer zeigte eindrucksvoll die positive Wirkung: Manager wurde täglich über eine Funktion Ihres elektronischen Kalenders daran erinnert, Mitarbeiter gedanklich wertzuschätzen. Nach nur sechs Monaten hatte sich der Krankenstand um 37% reduziert und eine Umfrage bei den Mitarbeitern bestätigte, dass sich das Betriebsklima spürbar verbessert hat. Dieses Experiment zeigt auch die Wechselwirkung zwischen dem Unternehmen, vertreten durch die Führungskräfte, und seinen Mitarbeitern. Auch hier ergeben sich zahlreiche Ansatzpunkte dem Burnout-Phänomen entgegenzuwirken. Dies sind beispielsweise: Klarheit in Zielen und Maßnahmen, sinnspendende Wertekultur, Förderung emotionaler Kompetenz und Work-Life-Balance, Würdigung der Bedeutung des professionellen und wertschätzenden Umgangs mit Emotionen und Beziehungen.
Häufig werden zur Burnout Prävention Stressimpfungstrainings durchgeführt. Hier lernen die Teilnehmer in drei Stufen zunächst, wie Stress entsteht. Anschließend wird aufgezeigt, welche Maßnahmen sie ergreifen können, wenn sie in Stresssituationen geraten. In der dritten Phase werden die erlernten Strategien individuell auf Alltagssituationen übertragen.
Therapie
Bei häufigem oder ständigem Auftreten von Burnoutsymptomen (s. Kasten) hilft nur professionelle therapeutische Unterstützung. Zunächst sollte hier eine genaue Diagnose stattfinden, da Burnout anderen Stress- und Belastungserkrankungen oft ähnlich ist. Erst durch eine individuelle Abklärung der Ursachen und des Krankheitsverlaufs können gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Zum einen geht es darum, eine wirksame Regeneration herbeizuführen. Zum anderen wird die Person auf dem Weg zu ihrer persönliche Work-Live-Balance begleitet, um nicht wieder in den Strudel der dauerhaften Überforderung zu geraten. Für diese therapeutischen Maßnahmen ist mit einem Zeitraum von mehreren Monaten zu rechnen. In der Regel handelt es sich zunächst um klinische Maßnahmen zur Regeneration und Stabilisierung der körperlichen Stressbewältigungsmechanismen. Nachfolgend erfolgt eine ambulante psychotherapeutische Begleitung bei der schrittweisen Rückkehr ins Berufsleben.
Schlussfolgerungen für die Projektarbeit
Was bedeutet das mit Sicht auf die Projektarbeit: Die aktuelle Situation in vielen technisch geprägten Branchen ist geprägt von hohem Zeit- und Kostendruck in Kombination mit einem akuten Fachkräftemangel. Das heißt, dass immer weniger hochqualifizierte Kräfte unter wachsendem Druck erfolgreich Projekte stemmen müssen. Die Herausforderung besteht darin, diese Leute für sein Unternehmen gewinnen, von ihrer Erfahrung dauerhaft zu profitieren und ihr Potential auch langfristig auszuschöpfen. Weitsichtige Unternehmer tun gut daran, ein gesundes Gleichgewicht zwischen Maßnahmen für den Projekterfolg und Maßnahmen für die Erhaltung der körperlichen und psychischen Stabilität der Projektmitarbeiter zu finden. Dazu gehören: Minimierung von Störfaktoren, hochwertige fachliche Weiterqualifikation, hochwertige Qualifikation der Führungskräfte in allen Bereichen der Menschenführung, berufsbegleitendes Coaching für Führungskräfte zur kontinuierlichen Verbesserung der Selbstreflexion. Besonders zu empfehlen sind jährliche Teamworkshops von ca. 2 Tagen zur Identifikation der wichtigsten Ansatzpunkte für mehr Projekterfolg, sowie steigende Mitarbeiterzufriedenheit und -gesundheit.
- Quellen:
- Christoph M. Bamberger, Stressintelligenz, Knaur, 2007
- J. Hellhammer, N. Bergemann, D. Hellhammer, Dem Stress auf der Spur, managerseminare, Nov 2012
- G. Kaluza, Gelassen und sicher im Stress, Springer, 2007
- Ulrike Pilzbusch, Burnoutsignale erkennen, managerseminare, Nov 2012
- Karin Probst, Raus aus der Gefahrenzone, managerseminare, Nov 2012
- Marcus E. Raichle, Im Gehirn herrscht niemals Ruhe, Spektrum der Wissenschaft 06/2010, s. 60
- Dr. Jörg-Peter Schröder, Spirale in den Abgrund, managerseminare, Nov 2012
- Prof. Dr. Uwe Schaarschmidt, AVEM – ein persönlichkeitsdiagnostisches Instrument für die berufsbezogene Rehabilitation. Psychologische Diagnostik – Weichenstellung für den Reha-Verlauf. Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Bonn. S. 59-82, 2006
- Peter Siwon, Die menschliche Seite des Projekterfolgs, dpunkt.verlag, 2010
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