Beziehungen im Projekt gestalten und erhalten – warum Sie nicht nur sachlich bleiben sollten.

Das mit dem Sachlich-bleiben in Projekten ist so eine Sache, denn auch wenn es uns nicht passt: Es ist unmöglich, die Beziehungsebene und entsprechend auch die damit verbundene emotionale Ebene auszublenden, wenn wir es mit Menschen zu tun haben. Der Appell „Bleiben Sie doch sachlich!“ geht in den meisten Fällen ins Leere oder gießt noch Öl ins Feuer erhitzter Gemüter. Das ist das Los eines Herdentiers. Da die Herde, sprich Gemeinschaft mit anderen, viele Vorteile für unser Überleben auch in der Projektarbeit bietet, werden wir mit dieser für Projekte manchmal nachteilig erscheinenden Beziehungsorientierung und Emotionalität wohl oder übel leben müssen.
Wenn wir die Beziehungsebene, oder noch besser ausgedrückt, die emotionale Verbindung mit anderen Menschen, nicht in unserer Psyche abschalten können, dann gibt es eine gute Alternative: Wir gestalten sie so, dass sie unseren Projektzielen nützt oder zumindest nicht mehr als vermeidbar schadet. Damit geht es uns besser und dem Projekt auch. Auf diese Weise haben wir auch eine bessere Beziehung zum Projekt. Das klingt doch ganz gut. Wie stellen wir das nun praktisch an?
Zugehörigkeit als Basis für Einsatz und Leistung
Eine der ersten Lektionen, die wir als Neugeborene lernen, ist, dass wir andere Menschen brauchen, um zu überleben, geborgen zu sein und dazuzulernen. Systemische Analysen zeigen, dass das Gefühl der Zugehörigkeit ein entscheidender Faktor dafür ist, dass Gemeinschaften ihre Ziele erfolgreich verfolgen können. Wer sich einem Projektteam oder Unternehmen zugehörig fühlt, ist eher bereit, sich für das gemeinsame Ziel einzusetzen. Das ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für gute Ergebnisse. Zugehörigkeit erhöht außerdem die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere wichtige Bedürfnisse erfüllt werden. Beispiele hierfür sind Anerkennung, Sicherheit oder persönliches Wachstum.
Zugehörigkeit ist ein existenzielles Bedürfnis, das auch im Sinne des Projekterfolgs befriedigt werden muss.
Wie wertvoll dieser Beziehungsaufbau für unser Wohlbefinden und damit auch für unsere Bereitschaft ist, uns aktiv in eine Gruppe einzubringen, zeigt folgende Situation, die Sie vielleicht auch schon erlebt haben: Sie kommen auf eine Veranstaltung, Party oder Feier und kennen praktisch niemanden. Die meisten Menschen suchen sich in dieser Situation einen sicheren Beobachtungspunkt, halten sich an ihrem Glas fest und machen ein neutrales oder etwas verklemmt-freundliches Gesicht. Wenn Sie Glück haben, wird die aufmerksame Gastgeberin Sie freundlich begrüßen und Ihnen einige Gäste vorstellen. Sie wird geschickt Personen wählen, die aufgrund ihrer Interessen oder Lebensumstände gut als Gesprächspartner dienen könnten. Diese Geste der Gastfreundschaft ist wie eine Erlösung; die Anspannung fällt ab, und Sie beginnen die Feier zu genießen.
Als Projektleiter, Teamleiter, Seminarleiter, Führungskraft, Einladender eines Meetings etc. sind wir im direkten oder übertragenen Sinn auch Gastgeber. Es ist wichtig, dass wir in dieser Rolle die Personen, die wir zusammenbringen, vernetzen oder führen, dabei unterstützen, ein Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und dieses auch zu erhalten.
Ich merke immer in meinen Seminaren, wie sich die Stimmung verbessert, die Menschen sich öffnen und sich bereitwilliger aktiv beteiligen, wenn ich ihnen genügend Gelegenheit gebe, sich auf entspannte und angenehme Weise kennenzulernen.
Am besten eignen sich dazu im Seminar wie auch im Projekt Methoden, bei denen sich die Leute zunächst paarweise und dann in kleinen Gruppen kennenlernen. Beispielsweise befragen sich die Personen gegenseitig zu bestimmten Themen, wie die aktuelle Aufgabe, gemeinsame Interessen, Erwartungen etc., und stellen sich dann gegenseitig vor. Der persönliche, zwischenmenschliche Austausch ist der effektivste Weg, Beziehungen aufzubauen – und damit auch der erste Schritt, Vertrauen zur Gruppe zu schaffen.
Bild 1: Eine positive Gestaltung von Beziehungen im Projekt dient in erheblichem Maße dem Projekterfolg. Professionelle Beziehungsarbeit ist eine Voraussetzung für effektive Sacharbeit.
Anschließend folgt eine Aufgabe, bei der sich die Teilnehmer oder das Projektteam in Vierergruppen mit einem Thema beschäftigen. Dieses Thema hilft dabei, dass sie sich weiter kennenlernen und gleichzeitig einen aktiven Beitrag zum Seminar- oder Projektziel leisten. Beispielsweise könnte die Aufgabe lauten: „Sammeln Sie Ideen für Maßnahmen, die das Gefühl der Zugehörigkeit zum Projektteam fördern oder ihm schaden können.“
Zugehörigkeit ist ein sensibles Gut
Das Gefühl der Zugehörigkeit ist die Grundlage dafür, dass in einem Team der faire Ausgleich von Geben und Nehmen funktioniert. Es ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen ihre Kraft und Talente in den Dienst einer gemeinsamen Sache stellen. Dies geschieht in der Zuversicht, dass in einer funktionierenden Gemeinschaft jeder unterm Strich mehr profitiert als investiert. Doch wehe, wenn hier Zweifel aufkommen! Dann sinkt die Einsatzbereitschaft, wird die Leistung auf das unbedingt notwendige Maß heruntergefahren oder der Gemeinschaft sogar Schaden zugefügt. Deshalb sollte es ein wichtiger Grundsatz eines jeden Teams sein, Konflikte, die zur Spaltung des Teams oder Ausgrenzung von Teammitgliedern führen können, so schnell wie möglich aufzuklären und zu lösen.
Beziehungsarbeit als treuer Begleiter
Wo immer wir es mit Menschen im Projekt zu tun haben, sollten wir die Beziehung zu ihnen möglichst positiv gestalten. Beispiel Besprechung: Sie sind der Einladende, also der Gastgeber oder die Gastgeberin. Beginnen Sie immer damit, die Menschen als Menschen zu begrüßen. Sie empfangen kein Problem, keinen Umsatz, kein Risiko, keinen Goldesel, keinen Fall etc., sondern Menschen. Die interessierte Frage nach der Anfahrt, die gastfreundliche Frage nach dem Getränkewunsch, das Bekanntmachen mit bereits eingetroffenen Gästen etc. – alles wertvolle Beziehungsarbeit. Auch während der Besprechung, gerade wenn es um schwierige Themen geht, ist der Wechsel zwischen Sachebene und Beziehungsebene wichtig für ein gutes Ergebnis. Je härter Sie in der Sache sind, desto verständnisvoller sollten Sie auf der Beziehungsebene sein: „Ich verstehe sehr gut, dass Sie als Einkäufer ein möglichst günstiges Angebot heraushandeln wollen.“ „Ich bin sehr froh, dass Sie dieses schwierige Thema so offen ansprechen.“ „Ich schätze es sehr, dass Sie mir die Gelegenheit geben, meine Sicht der Situation darzulegen.“ „Ich freue mich, dass WIR trotz der schwierigen Materie hier einen Schritt weitergekommen sind.“ Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Wertschätzung auszudrücken, ohne in der Sache klein beizugeben. Am Ende einer Besprechung ist es unabhängig vom Verlauf und Ergebnis wichtig, dass wir wieder den Menschen verabschieden. „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“ „Gute Rückreise!“ „Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.“ Wenn Sie Lust haben, können Sie die Situation nun auch aus der Perspektive des Gastes durchspielen. Was kann der Gast für eine positive Beziehungsgestaltung tun? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, den Menschen immer wieder zu zeigen, dass wir sie als Menschen wahrnehmen und wertschätzen. Manche Menschen machen es uns nicht leicht. Tun Sie es trotzdem, denn es lohnt sich auch für Sie selbst. Es macht gelassener, entspannter und führt meist zu besseren Ergebnissen.
Kurzformel: Steigen Sie über die Beziehungsebene ein und aus wie ein guter Gast(geber). Dazwischen fördern Sie auf der Beziehungsebene den Erfolg auf der Sachebene.
Sie können diese Formel sehr gut auf viele Situationen im Business übertragen. Wenn Sie an weiteren Tipps zur Förderung von Zugehörigkeit und Beziehungen interessiert sind, senden Sie mir einen E-Mail mit dem Stichwort Beziehung an beziehung@systemisches-projektmanagement.info. Ich freue mich natürlich auch über Ihre Anregungen und Kommentare zu diesem Thema.