Populismus verstehen und entlarven

um Misstrauen, Unzufriedenheit, Wut und Hass zu säen.
Es ist beunruhigend zu erleben, wie Populisten unsere Gesellschaft vergiften. Was die Sache noch schlimmer macht: Die profitorientierten Algorithmen sozialer Medien wie Facebook, TikTok und Instagram befeuern diese unselige Entwicklung. Sie spülen extreme, reißerische und provokante Posts schnell an die Spitze ihrer Empfehlungslisten. Die technischen Möglichkeiten zur Erstellung täuschend echter Falschinformationen in Wort, Bild und Video erschweren es selbst Fachleuten immer häufiger, den Betrug zu entlarven. Seriöse Beiträge versuchen, dem Unfug durch ausgewogene und gut recherchierte Inhalte Paroli zu bieten, doch leider werden sie durch die Algorithmen sozialer Medien benachteiligt. Warum fallen Menschen so leicht auf die Masche der Gesellschafts-Spalter und Fakenews-Verbreiter herein? Wie können wir uns vor dieser gefährlichen Manipulation schützen?
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Die Strategie der Populisten
Dabei gehen Populisten mit folgender Strategie vor: Zuerst entmenschlichen oder dämonisieren sie ihre Opfer durch Lügen, Übertreibungen, Verzerrung der Realität, Verallgemeinerung von Einzelfällen. Menschen werden zu Unmenschen (Müll, Monstern, Abschaum, Tieren, Feinden etc.) umgedeutet. Die Entrechtung dieser angeblichen Unmenschen ist damit aus Sicht der Populisten und ihrer Verbündeten und Mitläufer zulässig. Dies dient wiederum als Rechtfertigung für die Schergen populistischer Führer, die Opfer ungestraft zu demütigen, zu missbrauchen oder zu vernichten. Diese Strategie funktioniert so gut, dass sie seit Menschengedenken Anwendung findet. Zahlreiche Massenmorde, Genozide und Kriege sind die grauenvolle Bilanz populistischer Hetze.
Schauen wir uns gemeinsam an, in welche Populismus-Fallen unsere Intuition tappt. Die Schlussfolgerungen aus diesen Erkenntnissen schützen uns davor, falschen Propheten und Scharfmachern auf den Leim zu gehen.
Populismus: Das Feindbild ANDERSMENSCHEN
Stellen wir uns vor, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die die Populisten gerne loswerden oder verleumden wollen, weil sie nicht in ihr Weltbild passen, die sie als Feindbild missbrauchen wollen oder die einfach nur ihren Zielen im Weg stehen: Andersdenkende, Andersfarbige, sexuell Andersorientierte, Andersgläubige, Anders…
Nennen wir die Feindbilder der Populisten der Einfachheit halber „ANDERSMENSCHEN“.
Dieses Anderssein lässt sich schon einmal sehr gut nutzen, um einen hervorragenden Hebel in der menschlichen Psyche zu betätigen: Angst. ANDERSMENSCHEN rufen den vorsichtigen Beobachter in uns auf den Plan, weil das Anderssein zunächst verunsichert oder beunruhigt. Wenn wir bei genauerer Betrachtung keinen Grund zur Vorsicht erkennen, weicht die Angst oft der Neugier. Doch wenn nun ein „besorgter“ Warner einsteigt, der unsere an sich gesunde Vorsicht bestätigt und verstärkt, verwandelt sich Vorsicht in Gefühle wie Angst, Wut, Hass, Neid, Empörung oder Panik: „ANDERSMENSCHEN vergewaltigen unsere Frauen“, „ANDERSMENSCHEN nehmen uns unsere Arbeitsplätze und Wohnungen“, „ANDERSMENSCHEN verschwören sich gegen uns“, „ANDERSMENSCHEN zerstören unsere Kultur“ usw. Das Andere wird dadurch mit starken negativen Gefühlen verknüpft. Die Wirkung ist besonders stark, wenn der Warner dazu noch eine möglichst spektakuläre Geschichte auftischen kann, die glaubwürdig erscheint. Es spielt keine Rolle, ob diese Geschichte pure Fiktion ist oder die objektive Wahrheit stark verzerrt. Sie muss für die Empfänger nur einigermaßen glaubhaft klingen.

Regel 1 für Populismus: Identifiziere Ursachen menschlicher Vorsicht, verknüpfe sie mit deinem Feindbild und verstärke die Vorsicht zu starken, negativen Gefühlen wie Angst, Wut, Hass, Neid, Empörung oder Panik.
Regel 1 für Menschen, die auf Populisten nicht hereinfallen wollen: Betrachte Aussagen besonders kritisch und misstrauisch, wenn sie versuchen, deine gesunde Vorsicht in starke, negative Gefühle zu verwandeln.
Populismus: Die Faszination simpler Schauergeschichten
Die Geschichten der Populisten folgen einem einfachen Strickmuster, das es der menschlichen Psyche leichter macht, auf sie hereinzufallen. Sie sind problemlos zu verstehen und wecken starke, negativeEmotionen. Digitale Werkzeuge bieten den Populisten immer bessere Möglichkeiten, die Echtheit dieser Geschichten mit nahezu perfekt gefälschten Bildern und Videosequenzen zu „beweisen“. Unser Gehirn liebt einfache Geschichten, weil sie wenig Denkaufwand erfordern. Außerdem haben sie den Vorteil, dass sie leichter weiterzuerzählen sind. Die emotionale Erregung macht es nicht nur leichter, sich krasse Geschichten zu merken, sondern erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie weiterverbreitet werden. Menschen haben oft den Drang, starke Emotionen mit anderen zu teilen: „Hast Du schon gehört? Es ist schrecklich!! Die ANDERSMENSCHEN haben…“. Außerdem erfreuen sich die Erzähler krasser Storys einer hohen Aufmerksamkeit.
Regel 2 für Populismus: Erfinde verständliche Geschichten mit krassen Inhalten, die starke Emotionen weckt. Nutze die Möglichkeiten digitaler Manipulation.
Regel 2 für Menschen, die auf Populisten nicht hereinfallen wollen: Je stärker dich eine Geschichte emotional aufwühlt, umso kritischer solltest du die Quelle und den Inhalt prüfen.
Populismus: Vereinfachung und Sündenböcke
Oft kommen folgende Methoden der Vereinfachungen zur Anwendung: Einzelfälle werden verallgemeinert und komplexe Zusammenhänge auf einfache Ursache-Wirkungserklärungen reduziert. Differenzierung ist ein aufwändiges Unterfangen, deshalb neigt unsere Psyche dazu, die Welt in möglichst einfache Kategorien aufzuteilen: Gut und Böse, wir und die anderen, Richtig und Falsch usw. Damit können unsere grauen Zellen gut und schnell arbeiten. Das Gleiche gilt für vereinfachte Ursache-Wirkungszusammenhänge wie „Die ANDERSMENSCHEN allein sind schuld daran, dass unsere Gesellschaft auf den Hund kommt“. Dass wir solche bei näherer Betrachtung blödsinnigen Zusammenhänge glauben, liegt an einer weiteren Schwäche unseres Oberstübchens, die Psychologen als „fundamentalen Attributionsfehler“ bezeichnen. Sie benennen damit unsere Neigung, einzelne Personen oder Personengruppen zu beschuldigen, ohne uns über die genaueren Zusammenhänge und Hintergründe schlau zu machen. In der Regel stellt sich schnell heraus, dass die Realität sehr viel komplizierter ist und Sündenböcken oft Unrecht getan wird. Sündenböcke sind aber sehr praktisch für Populisten. Man kann sie in den Schauermärchen herrlich zur Zielscheibe für Wut und Empörung machen.
Regel 3 für Populismus: Verallgemeinere Einzelfälle und vereinfache oder verzerre Ursache-Wirkungszusammenhänge so, dass den ANDERSMENSCHEN möglichst einfach die Rolle der Sündenböcke zugewiesen werden kann.
Regel 3 für Menschen, die auf Populisten nicht hereinfallen wollen: Prüfe sorgfältig, ob Verallgemeinerungen und einseitige Schuldzuweisungen tatsächlich zutreffen. Suche Gegenbeispiele! Beleuchte die Hintergründe und Zusammenhänge!
Populismus: Die Macht der Wiederholung
Verkäufer und Marketingexperten wenden immer wieder erfolgreich das Prinzip „steter Tropfen höhlt den Stein“ an. Sie sorgen dafür, dass ihre Werbebotschaft in Erinnerung bleibt, indem sie sie immer wieder über viele Kommunikationskanäle hinausposaunen. Gleichzeitig erzeugt Wiederholung einen zweiten erwünschten Effekt: Je öfter eine Botschaft empfangen wird, desto glaubwürdiger wirkt sie. Nach dem Motto: Wenn so häufig darüber gesprochen wird, muss wohl etwas dran sein. Populisten haben diese Lektion natürlich auch längst gelernt. Unglücklicherweise werden sie in ihrem Bestreben, ihre Schauermärchen schnell und häufig unter die Leute zu bringen, von den sozialen Medien unterstützt. Die sozialen Medien bieten viele Möglichkeiten dazu. Zum einen bevorzugen sie spektakuläre Beiträge, weil diese gerne geklickt und geteilt werden. Zum anderen lassen sich digitale Roboter dazu nutzen, diese Beiträge zu vervielfältigen und aufzuwerten. Jeder Aufruf, jedes Like und jeder Kommentar erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Beiträge vom Algorithmus des sozialen Medienanbieters immer weiter gestreut werden. Die perfekte Schwachsinns-Vervielfältigungsmaschinerie steht den Populisten gratis zur Verfügung. Da sich viele Menschen vor allem auf sozialen Plattformen bewegen, besteht die große Gefahr, dass die Manipulationsversuche der Populisten gelingen.
Regel 3 für Populismus: Bombardiere deine Zielgruppe über möglichst viele Kanäle mit deinen Schauermärchen. Nutze dazu vor allem die Sensationslust der Algorithmen und die Möglichkeiten digitaler Multiplikatoren.
Regel 3 für Menschen, die auf Populisten nicht hereinfallen wollen: Sei dir der digitalen Manipulationsmöglichkeiten bewusst. Prüfe die Quellen und Inhalte kritisch. Versuche dir klar zu werden, welches Ziel die Autoren verfolgen. Polarisierung, Verallgemeinerung, Simplifizierung, Abstempeln von Sündenbocken sind starke Indizien für unredliche Manipulationsversuche.
Populismus: Selbsttäuschung
Was passiert, nachdem diese Propagandamaschinerie eine Person so weit manipuliert hat, dass sie bereit ist, die Ansichten des Populisten zu teilen? Nun beginnt die Psyche dieser Person damit, sich selbst davon zu überzeugen, dass die so entstandene Meinung die richtige sein muss. Diesen Effekt nennen die Psychologen „Selbsterfüllende Prophezeiung“. Sie meinen damit, dass Menschen, wenn sie sich einmal für etwas entschieden haben, vor allem nach Belegen suchen, die diese Entscheidung rechtfertigen. Gleichzeitig werden Gegenbeweise immer konsequenter als irrelevant erachtet oder komplett ignoriert. Die Psyche baut sich eine Meinungsblase, deren Hülle immer schwerer von außen durchdrungen werden kann. Das Internet bietet ideale Voraussetzungen dafür, betonharte Meinungsblasen zu erschaffen. Die Algorithmen erkennen, welche Art von Bestätigung gesucht wird, und passen ihr Informationsangebot entsprechend an. Die Populisten müssen nur dafür sorgen, dass der Stoff nicht ausgeht. Außerdem setzen sie noch auf den Herdentrieb der Menschen.
Populismus: Gruppenzwang

Menschen wollen dazugehören. Sie brauchen Mitmenschen, die ihnen das Gefühl von Anerkennung und Empathie geben. Deshalb schließen sie sich gerne Gruppen und Gemeinschaften an, die ihre Interessen, Meinungen und Werte teilen. Auch das ist ein guter Ansatzpunkt für Populisten. Sie geben den Menschen, die ihren populistischen Verschwörungstheorien Glauben schenken, eine Heimat: eine Partei, eine Jugendorganisation, einen Stammtisch, gemeinsame Demonstrationen oder eine WhatsApp-Gruppe etc. Wichtig ist dabei, dass die Möglichkeit besteht, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen und sich gegen Andersdenkende abzugrenzen. Und schon schnappt die nächste Falle der Populisten zu. Innerhalb der Gruppenblase bestärken die Gruppenmitglieder sich nicht nur gegenseitig in ihrer Meinung – die Meinungen werden in ihrer Radikalität sogar noch verstärkt.
Groupthink
Hinzu kommt ein Effekt, den die Psychologen Groupthink nennen: In einer Gruppe sind Menschen eher bereit, ihre eigene Meinung zugunsten der Gruppen-Meinung aufzugeben. In einer Gruppe von Überzeugten lassen sich Zweifler schnell bekehren. Der Konformitätsdruck kann so groß sein, dass auch völlig absurde Behauptungen übernommen werden, ohne dass der Verdacht aufkommt, manipuliert worden zu sein. Je stärker sich eine Gruppe von ihrer Umwelt abkapselt, desto mehr wird das eigene Weltbild verklärt und das andersdenkende Umfeld als feindlich empfunden. Das stärkt den inneren Zusammenhalt und verringert die Skrupel im Umgang mit der „bösen und unwissenden“ Außenwelt. „Wir sind die Auserwählten und die ANDERSMENSCHEN Abschaum, der unterworfen oder vernichtet werden muss“. Der Vorteil dieser populistischen Einigelung ist, dass die ANDERSMENSCHEN sehr gut als Sündenböcke für eigene Fehler genutzt werden können. Außerdem lassen sich innere Konflikte durch ein starkes äußeres Feindbild besser unter Kontrolle halten. Kein Wunder, dass von Gruppen, die sich hinter ihrem verzerrten Weltbild verbarrikadiert haben, eine große Gefahr ausgehen kann. Sie werden zu willfährigen Werkzeugen der Hetzer.
Regel 4 für Populismus: Schaffe ein digitales und soziales Umfeld, das die Menschen in dem Weltbild bestätigt, das deinen radikalen Zielen dient.
Regel 4 für Menschen, die auf Populisten nicht hereinfallen wollen: Suche bewusst den offenen, wertschätzenden Austausch mit Andersdenkenden. Erkenne unterschiedliche Meinungen als Quelle der Erkenntnis. Sei skeptisch, wenn jemand für sich den Anspruch erhebt, die absolute Wahrheit zu kennen, und jede Diskussion darüber ablehnt oder mit unfairen Mitteln führt.
Verstand ist gefragt
Die schlechte Nachricht: Die menschliche Psyche ist relativ anfällig für die Agitationen des Populismus. Unsere Vorsicht gegenüber dem Fremdartigen oder Ungewohnten, unsere Faszination für spektakuläre Geschichten, unsere Tendenz zu glauben, was oft wiederholt wird, der Hang, unser Weltbild zu bestätigen und der Wunsch nach Zugehörigkeit machen uns anfällig für ihre Manipulationsversuche.
Die gute Nachricht: Wenn wir die Fallen der Populisten und falschen Propheten kennen, können wir unseren Verstand nutzen, um ihnen zu entgehen. Polarisierende, herabwürdigende, verallgemeinerte Aussagen gewürzt mit reißerischen Geschichten, Bildern und Videosequenzen werden dann unser Misstrauen wecken. Wir werden Quellen, Motive und Inhalte kritisch hinterfragen und den offenen, wertschätzenden Meinungsaustausch mit Andersdenkenden suchen.
Es ist leider oft bequemer, einfachen und spektakulären Behauptungen zu glauben, die ein inneres Gefühl von Unsicherheit und Unbehagen bestätigen, als sich die Zeit zu nehmen, sie fundiert zu hinterfragen. Allerdings hat diese Bequemlichkeit einen sehr hohen Preis: Wir gefährden damit das Fundament unserer freiheitlichen, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft – eine Gesellschaft, in der eine breite Mehrheit bereit ist, mit ANDERSMENSCHEN friedlich gemeinsame Wege zu finden und zu gehen. Ist nicht jeder von uns auf seine Weise ein ANDERSMENSCH?
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Fotos: fotoart Elisabeth Wiesner, Regensburg