Die Zauberformeln der Innovation Teil 5: In diesem fünften und letzten Teil werde ich die große Bedeutung von Mitgestaltung und Mitsprache für den erfolgreichen Innovationsprozess beleuchten. Auch hier spielt das Kommunikationsverhalten der Führungskräfte oder Projektverantwortlichen eine maßgebliche Rolle.
Wie bereits in Teil 2 beschrieben, erhöhen wir die Chance für eine erfolgversprechende Entscheidung dadurch, dass wir zuerst in die Breite (divergent) denken. Dabei sammeln wir alles, was für eine Entscheidung, z.B. einen Lösungsweg oder eine Maßnahme, nützlich sein könnte: Informationen, Ideen, Meinungen, Annahmen, Ansprechpartner, Methoden, Vorgehensweisen, Beispiele usw. Je vielfältiger, kreativer und unvoreingenommener wir hier vorgehen, desto besser. Dann wählen wir mit Bedacht und systematisch aus, was uns am vielversprechendsten erscheint, um daraus eine Entscheidung zusammenzuzimmern.
Es ist sehr vorteilhaft, wenn wir die Personen, die von der Entscheidung maßgeblich betroffen sind oder einen starken Einfluss auf die erfolgreiche Umsetzung haben, in den Entscheidungsprozess einbinden:
- Es steigert die Wahrscheinlichkeit der bestmöglichen Entscheidung.
- Es macht unterschiedliche Meinungen sichtbar und besprechbar.
- Es stößt Lernprozesse an.
- Es erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen.
- Es steigert die Bereitschaft, sich aktiv für das gesteckte Ziel zu engagieren.
- Es fördert das Gefühl der Zugehörigkeit.
- Es befriedigt wichtige Bedürfnisse, wie Wertschätzung, Selbstwirksamkeit, Erkenntnisgewinn, Sicherheit etc.
- Mitgestaltung erzeugt Mitverantwortung
Entscheidungen sind Hypothesen
Verantwortung tragen heißt Entscheidungen treffen. Dabei sollte klar sein, dass jede Entscheidung zwangsläufig auf Annahmen über die Zukunft beruht. Diese Annahmen können – abhängig von den verfügbaren Fakten gepaart mit der Komplexität und der Veränderungsgeschwindigkeit der Einflussfaktoren – mit hohen Unsicherheiten behaftet sein. Je innovativer wir in einem von starkem Wettbewerb geprägten Markt unterwegs sind, desto höher die Unsicherheit. Ob unsere Annahmen zutreffen, wird sich immer erst bei der Umsetzung der Entscheidung zeigen. Die Umsetzung sollte nicht das Ziel verfolgen, die Richtigkeit der Annahmen und der daraus hervorgegangenen Entscheidung zu beweisen. Sie dient dazu, möglichst objektiv zu überprüfen, inwieweit die Entscheidung tatsächlich zu den gewünschten Ergebnissen führt. Wenn wir mit der Haltung des (möglichst) unvoreingenommenen Prüfers in die Umsetzung gehen, können wir nicht nur den nachteiligen Effekten der selbsterfüllenden Prophezeiung entgegenwirken, sondern sind gleichzeitig offen für die dabei gewonnenen Erkenntnisse.
Die Bereitschaft, die Entscheidung durch die Umsetzung auf den Prüfstand zu stellen, bietet neben der Überlistung der selbsterfüllenden Prophezeiung noch weitere interessante Vorteile:
- Das Wesen der Entscheidung als Folge getroffener Annahmen wird sichtbar. Es geht nicht darum, die Richtigkeit zu beweisen oder zu widerlegen, sondern darum, Handlungsfähigkeit zu schaffen und durch Handeln Erkenntnisse zu gewinnen.
- Wir müssen letzten Zweiflern nicht die Richtigkeit der Entscheidung beweisen, was ja ohnehin nicht möglich ist. Wir nehmen stattdessen ihre Einwände ernst und laden sie ein, mit ihrem kritischen Blick einen aktiven Beitrag zur Umsetzung zu leisten. Wir legen mit ihnen gemeinsam fest, wann die Umsetzung unterbrochen wird, um die gewonnenen Erfahrungen in Augenschein zu nehmen. Die Zweifler bleiben somit integrale und wertgeschätzte Teammitglieder.
- Innerhalb eines überschaubaren Zeitraums besteht die Chance, bereits getroffene Entscheidungen zu korrigieren oder neue zu treffen.
- Falls die Bedenken angebracht waren, hält sich der Schaden in Grenzen, und es konnten wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. Die Person, die letztlich die Entscheidung getroffen hat, übernimmt die Verantwortung und dankt allen für ihren Beitrag zum Erkenntnisgewinn.
- Wir tragen aktiv dazu bei, dass die Angst vor Verantwortung, Entscheidungen und Fehlern überwunden wird.
All diese Vorteile lassen sich durch ein geeignetes Kommunikationsverhalten und passende Formulierungen erschließen. Hier ein paar Beispiele:
Zunächst ist es wichtig, dass wir mit Personen, die unterschiedliche Einschätzungen und Meinungen äußern, wertschätzend umgehen:
„Danke für Eure Offenheit. Wir haben das Für und Wider der verschiedenen Optionen nun gemeinsam abgewogen. In einigen Punkten ergaben sich zum Teil sehr unterschiedliche persönliche Einschätzungen und Meinungen. Wir konnten nicht überall einen Konsens finden oder alle Zweifel ausräumen. Das wird uns dabei helfen, weiterhin aufmerksam und genau zu beobachten. Nun ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.“
Nun geht es darum, Unsicherheit zeitbegrenzt in Handlungsfähigkeit zu verwandeln, um Erfahrungen sammeln zu können, die die Voraussetzungen künftiger Entscheidungen verbessern:
„Ich habe mich aus folgenden Gründen für die Option A entschieden: … Ich verstehe, dass einige von Euch anders entschieden hätten. Doch letztlich ist es meine Verantwortung. Deshalb schlage ich vor, dass wir die Entscheidung auf den Prüfstand stellen, indem wir sie die nächsten 4 Wochen konsequent umsetzen und dabei Erfahrungen sammeln. Auf Basis dieser Erfahrungen werden wir die Entscheidung überprüfen und wenn nötig korrigieren oder verwerfen.“
Spielräume für die Mitgestaltung von Entscheidungen nutzen
Es gibt viele Möglichkeiten, Menschen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Der Rahmen kann sehr großzügig oder sehr eng gewählt werden. Im Sinne der oben genannten Vorteile und zur Vermeidung von Reaktanz-Effekten (negative Reaktionen aufgrund des Eindrucks, nicht angemessen eingebunden zu sein) lohnt es sich allerdings, die Gestaltungsspielräume zu nutzen, die sich aufgrund von Wissen, Erfahrung und Lernbereitschaft anbieten. Der Spielraum kann sich von der Mitgestaltung einzelner Arbeitsschritte bis hin zur Beteiligung an strategischen Weichenstellungen erstrecken. Dazwischen gibt es viele weitere Möglichkeiten der Mitgestaltung:
Strategiegestaltung
Prozessgestaltung
Taktik, Methode
Zielsetzung
Zwischenziele
Maßnahmenpakete
Maßnahme
Arbeitsschritt
Mitgestaltung bei Entscheidungen stärkt die Team-Bindung
Die Mitgestaltung bei Entscheidungen bietet in zweierlei Hinsicht die Möglichkeit, wichtige Bedürfnisse der Teammitglieder anzusprechen. Zum einen befriedigt bereits die Mitgestaltung Bedürfnisse wie Vertrauen, Anerkennung, Selbstbestimmung, Zugehörigkeit etc.
Zum anderen lassen sich durch die gemeinsame Wahl von Entscheidungskriterien auch mit der Entscheidung selbst unterschiedliche Bedürfnisse der Beteiligten berücksichtigen. Welche Bedürfnisse könnten hier eine Rolle spielen? Das sogenannte Riemann-Thomann-Modell gibt weitere interessante Impulse (Link zu Erklärvideo Riemann-Thomann-Modell).
Es beschreibt, dass Menschen unterschiedlich ausgeprägte Bedürfnisse nach Nähe oder Distanz sowie Beständigkeit oder Veränderung verspüren. Wenn wir beispielsweise die Entscheidung für eine neue Verwaltungssoftware treffen, könnten wir den unterschiedlichen Bedürfnissen der Teammitglieder folgendermaßen gerecht werden:
- Entscheidungskriterien wie Sicherheit und Nachhaltigkeit bedienen das Bedürfnis nach Beständigkeit.
- Kriterien wie Flexibilität, Ausbaufähigkeit und Innovationspotential zielen auf das Bedürfnis nach Veränderung.
- Kriterien wie ortsnaher, persönlicher Support und nationaler Anbieter sprechen das Bedürfnis nach Nähe an.
- Verbreitung der Lösung im Weltmarkt, Steigerung der Karrierechancen durch Kenntnis dieser Lösung und Möglichkeit der Nutzung aus dem Homeoffice sprechen eher das Bedürfnis nach Distanz und Unabhängigkeit an.
Auf diese Weise besteht die Chance, dass sich jedes Teammitglied in der Entscheidung wiederfinden kann und darin Sinn erkennt.
Umsetzen und Erfahrungen sammeln
Wie bereits beschrieben, brauchen wir einen gut getimten Wechsel zwischen Phasen der Reflexion und Entscheidung und Phasen der Umsetzung, um Erfahrungen für künftige Reflexions- und Entscheidungsphasen zu sammeln. Neben dem Timing spielt die Fokussierung auf das eine oder auf das andere eine wichtige Rolle. Diese Fokussierung wird einsteils dadurch unterstützt, dass es Zeitfenster gibt, die primär der Reflexion und Entscheidung dienen, und solche, die vor allem der Umsetzung dienen. Bei der Umsetzung wird diese Fokussierung außerdem erreicht, indem das Team folgendermaßen Unterstützung erfährt:
- Hindernisse (z.B. organisatorische, finanzielle, bürokratische) werden beseitigt.
- Störungen werden vermieden oder ferngehalten.
- Die Teammitglieder und Führungskräfte geben sich gegenseitig wirksame (d.h. Vermeidung allgemeiner Aussagen oder subjektiver Beurteilungen) Rückmeldung zu Einsatz-, Verantwortungsbereitschaft und Ergebnissen, d.h. die Empfänger erkennen ganz konkret, was sie zum Ergebnis beigetragen haben.
- Verständnis wird gefördert, wie Ergebnisse zustande gekommen sind oder was zu einem Ergebnis beigetragen hat.
- Erreichte Etappenziele oder wichtige Ergebnisse werden gewürdigt.
- Erfahrungen, Ideen und Veränderungswünsche, die keinen unmittelbaren Nutzen für die aktuelle Umsetzung haben, werden dokumentiert und fließen in die folgende Reflexions- und Entscheidungsphase ein.
Das Projektteam lässt sich mit einem Sportteam vergleichen, das sich vor einem Spiel für eine Strategie und taktische Maßnahmen entschieden hat. Im Spiel geht es darum, diese Entscheidung diszipliniert und konsequent umzusetzen. Es ist in aller Regel wenig sinnvoll, wenn Trainerin oder Trainer von außen ständig irgendwelche Anweisungen geben oder gar versuchen, Strategie und Taktiken zu ändern, nur weil nicht gleich alles wie am Schnürchen klappt. Sie würden das Spiel möglicherweise mehr stören als die gegnerische Mannschaft. Stattdessen beobachten sie, machen Notizen, sammeln Ideen und geben der Mannschaft erst einmal die Gelegenheit, mit der gewählten Spielweise ihren Rhythmus zu finden. Sie werden, wenn nötig, mit Augenmaß korrigierend und helfend eingreifen, wenn die Umsetzung nicht wie vereinbart läuft. Es wäre aber nicht hilfreich, wenn die Spieler während des laufenden Spiels nicht eintrainierte Taktiken umsetzen, neue Schuhe ausprobieren oder ihre Lauftechnik verbessern müssten. Für fundamentale Änderungen sind ausführliche Mannschaftsbesprechungen und intensive Trainingseinheiten zwischen den Spielen die richtige Wahl.
Kommunikationsverhalten und Formulierungen auf dem Prüfstand
Wie können wir nun durch unsere Kommunikation das effektive Durchlaufen des Reflektieren-Entscheiden-Umsetzen-Zyklus unterstützen? Effektiv bedeutet: Wir fördern dadurch Teamgeist, Commitment (Verantwortungs-, Einsatz- und Leistungsbereitschaft) sowie Erkenntnisgewinn und Lernbereitschaft. Gehen wir diese Frage ganz pragmatisch an, indem wir verschiedene Verhaltensweisen und Formulierungen unter diesen Gesichtspunkten unter die Lupe nehmen. Dabei geht es nicht darum zu bewerten, ob diese Verhaltensweisen und Formulierungen grundsätzlich falsch oder richtig sind. Das wäre insofern wenig hilfreich, als das sehr von Personen, Situationen und verfolgtem Ziel abhängig ist.
In der Tabelle „Verhalten, Formulierungen“ im Anhang haben Sie die Gelegenheit, einige Verhaltensweisen und Formulierungen nach folgenden Kriterien einzuschätzen:
- T: Wirkung auf den Teamgeist
- C: Wirkung auf die Bereitschaft zu Einsatz, Verantwortung und Leistung
- E&L: Wirkung auf Erkenntnisgewinn und Lernbereitschaft
In meinen Seminaren lernen Sie viele weitere Beispiele für wirkungsvolle Formen der Kommunikation kennen.
Wenn Sie diese Einschätzungen vornehmen, werden Sie wahrscheinlich wie ich feststellen, dass man sich relativ häufig nicht für eine eindeutige Bewertung entscheiden kann. Das liegt in der Natur der Sache: Aufgrund der komplexen Abhängigkeiten von Situation, Personen und Ziel ist das nicht weiter verwunderlich. Allerdings lassen sich doch klare Tendenzen erkennen, welche Verhaltensweisen und Formulierungen eher hilfreich oder eher hinderlich sind. Wichtig ist, dass wir uns bewusst mit den möglichen Wirkungen auseinandersetzen.
Damit bin ich am Ende der Artikelserie „Zauberformeln der Innovation“ angekommen. Alle 5 Teile finden Sie auf meiner Website. Folgende Links führen Sie direkt zu den verschiedenen Teilen:
Teil 1: Der Schlüssel zur Innovation liegt in der Gestaltung der Kommunikation
Teil 2: Der Weg durch die Zone des Ächzens und Stöhnens
Teil 3: Timing, Rhythmus, Flexibilität
Teil 4: psychologische Innovationsbremsen
Teil 5: Mitgestaltung erzeugt Mitverantwortung
Anhang
Bitte bewerte die Formulierungen und Verhaltensweisen nach folgenden Kriterien und begründe Deine Bewertung:
T: Inwieweit sind sie der Beziehung förderlich?
C: Inwieweit fördern sie Mitgestaltung und Mitverantwortung?
E&L: Inwieweit unterstützen sie Erkenntnisgewinn und Lernbereitschaft?
Bewertung:
h: hoch (positive Wirkung auf ein Kriterium)
m: mittel
g: gering
u: unwahrscheinlich
Nr. | Verhalten, Formulierungen | T | C | E&L |
1 | „Danke für die Bereitschaft, Deine Sicht darzustellen. Wie bist Du dazu gekommen? Was hast Du beobachtet?” | |||
2 | „Die Situation erscheint mir derzeit unsicher und unübersichtlich. Wie geht es Euch?“ | |||
3 | „Was könnten wir übersehen haben?“ | |||
4 | „Ich freue mich nun über Eure Beiträge, Fragen und Anregungen.“ | |||
5 | Die Meetings werden durch hohe Gesprächsanteile der Führungskraft geprägt. | |||
6 | Die Führungskraft stellt offene Fragen, gibt dann ausreichend Zeit zum Nachdenken, hört genau zu und fasst die Antwort kurz zusammen. | |||
7 | Die Führungskraft 1) hält sich zurück 2) beobachtet, um Kontext und Bedürfnisse besser zu verstehen 3) stellt neugierige Fragen (Wie? Was?) | |||
8 | “Sind wir im Plan?” | |||
9 | „Wie wahrscheinlich ist es, dass wir den Termin halten?“ | |||
10 | 1) Wie sieht die Sache derzeit aus? 2) Wie ist es dazu gekommen? 3) Was ist nun zu tun? |