Die Zauber-Formeln der Innovation
Teil 1: Der Schlüssel zur Innovation liegt in der Gestaltung der Kommunikation
„Worte waren ursprünglich Zauber, und das Wort hat noch heute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben.“ (Sigmund Freud)
Worte, Sprache und Kommunikation, gepaart mit all den nonverbalen Begleitsignalen, gehören zu den mächtigsten Hilfsmitteln, die der Homo Sapiens erschaffen hat. Wenn wir Menschen für innovative Ziele begeistern wollen, wenn wir dafür ihre Einsatzbereitschaft, Verantwortungsbereitschaft und Kreativität aktivieren wollen, wenn wir dazu ein starkes Team entwickeln und erhalten wollen, das mit uns durch dick und dünn geht, dann sollten wir die Magie der Sprache beherrschen. Beherrschen heißt, dass wir nicht nur das großartige Potential ihrer weißen Magie erschließen, sondern uns auch der Gefahren ihrer schwarzen, destruktiven Magie bewusst sind.
Dies ist der 1. Teil einer Artikelserie, die einige Antworten auf folgende Frage geben soll: Wie kann in einem Team die Kommunikation gestaltet werden, um Innovation zu unterstützen. Zunächst werden ich das Mysterium Kommunikation beleuchten, eine geradezu magische Quelle der Erkenntnis und Energie.
Sprache, magische Quelle von Erkenntnis und Energie
Durch Kommunikation tauschen wir uns nicht nur über das aus, was wir für die Realität halten, sondern wir können damit auch fiktive Realitäten erschaffen. Fiktive Realität, das klingt paradox. Doch jeder gute Roman oder Thriller ist ein schlagender Beweis dafür, dass Fiktion nachweislich reale und starke Gefühle der Freude, Trauer, Neugier, Wut oder Angst erzeugen kann. Bei vielen Menschen laufen beim Lesen sogar innere Bilder und Episoden vor dem geistigen Auge ab. Genau genommen erzeugt unser Gehirn aus den Signalen, die die Sinnesorgane liefern, immer eine fiktive Realität – unabhängig davon, ob wir die reale Welt beobachten, einen Film sehen, eine Geschichte hören oder ein Buch lesen. Das hat große Vorteile, wenn es um Innovation geht, denn wir können fiktive Welten erschaffen und uns über sie austauschen.
Dies lässt sich sehr gut mit einer Metapher erklären: Der menschliche Körper gleicht einem Improvisationstheater. In dem Theater spielen Schauspieler (Neuronen und Hormone) spontan Szenen nach, die sie von der Bühne aus durch ein kleines Fenster (Sinnesorgane) auf dem Platz vor dem Theater beobachten können. Was auf der Bühne präsentiert wird, hängt u.a. von folgenden Faktoren ab: Wie genau haben die Schauspieler beobachtet (Aufmerksamkeit)? Wie gut konnten sie sich in die Szene hineinversetzen (Empathie)? Wie sind sie stimmungsmäßig drauf (Emotionen)? Welche Requisiten stehen zur Verfügung (Wissen, Erfahrungen)? Dieselbe Szene wird dann beispielsweise als ausschweifendes Drama, unterhaltsame Komödie, avantgardistisches Verwirrstück oder kurzer Sketch vor kargem oder üppigem Bühnenbild inszeniert. Das Publikum (Bewusstsein), das selbst nicht durch das Fenster schauen kann, verfolgt das Schauspiel auf der Bühne. Für dieses spezielle Publikum ist das Schauspiel die Realität. Es kennt keine andere Realität, weil es von Geburt an an den Theatersitz gefesselt ist. Wenn es Zweifel hat, ob die Inszenierung der Realität vor dem Fenster entspricht, kann es nur die Schauspieler bitten, nochmals kritisch aus dem Fenster zu blicken, um dann das Stück nochmals aufzuführen.
Diese Erklärung gibt es auch als Video.
Fazit: Was im Bewusstsein ankommt, ist und bleibt Fiktion – völlig unabhängig davon, wie oft die Schauspieler gebeten werden, nochmal aus dem Fenster zu schauen.
Das stellt uns bei der Kommunikation vor große Herausforderungen: Sender und Empfänger sitzen gefesselt auf ihrem Theatersessel. Wenn ich kommunizieren will, schicke ich meine Boten (Körperfunktionen, die z.B. Mimik, Gestik und Sprache steuern) vor das Fenster des Theaters meines Zielpublikums, um dessen Schauspielern eine Szene vorzuspielen. Das geschieht in der Absicht und Hoffnung, dass diese Schauspieler in der Lage sind, ein Bühnenstück aufzuführen, mit dem das Zielpublikum kapiert, was ich mitteilen will. Wenn mir das Publikum nun etwas erwidern will, dann muss es seine Boten vor das Fenster meines Theaters schicken usw.
Ganz schön kompliziert! Kein Wunder, dass bei der Kommunikation so häufig unerwartete und unerwünschte Ergebnisse erzielt werden. Missverständnisse und Verwirrung sind ihre ständigen und leider praktisch unvermeidlichen Begleiter. Kommunikation wird dadurch immer ein Stück weit ein Mysterium bleiben. Gleichzeitig wirkt es wie Magie, dass wir nur durch Worte in Form von Tonfolgen oder Schriftzeichen in der Lage sind, lebendiges Theater auf der Bühne unserer Kommunikationspartner zu inspirieren. Damit eröffnet uns die Sprache, vor allem wenn es um Innovation geht, erstaunliche Möglichkeiten – wenn wir sie geschickt einsetzen. Gleichzeitig birgt sie aber auch dramatische Gefahren, wenn wir ihre Macht unterschätzen.
Worte können Zuversicht, Vertrauen, Freude, Neugier, Einsatzbereitschaft, Verantwortungsgefühl, Leistungsbereitschaft u.v.m. erzeugen und vernichten. Worte sind wie Zauber, doch wir sollten uns bewusst sein, dass sie als weiße Magie das Beste in den Menschen wecken und als schwarze Magie unglaublich zerstörerisch wirken können. Wenn wir den Sprach-Geist aus der Flasche lassen, sollten wir dies also mit der nötigen Umsicht tun.
Unterschiede als Erkenntnis-Quellen der Innovation
Ich befasse mich seit vielen Jahren mit der Kommunikation in Unternehmen, Teams und Projekten. Einigkeit und Harmonie erscheinen die idealen Voraussetzungen für den Erfolg zu sein. Wenn diese Einigkeit und Harmonie ein vorherrschender oder dauerhafter Zustand sind, der auch unisono beschworen wird, dann werde ich misstrauisch und skeptisch. Entweder haben sich hier Menschen gefunden, die extrem gleich ticken oder einer von ihnen tickt so laut, dass alle anderen ihr eigenes Ticken nicht mehr hören können oder es nicht hören dürfen. Beides ist wenig hilfreich, denn dadurch tickt die Uhr der Innovation langsamer oder bleibt sogar stehen. Warum sehe ich das so?
Innovation entsteht dadurch, dass wir alte Denkmuster aufbrechen und unseren Horizont erweitern. Anders ausgedrückt und um im Bild der Theatermetapher zu bleiben: Wir sind bereit, in unserem Theater Requisiten, Bühnenelemente und Repertoire anzupassen oder zu ergänzen. Vielleicht stellen wir sogar neue Schauspieler ein. Das funktioniert am besten, wenn wir uns im Sinne eines gemeinsamen Ziels offen und gleichberechtigt über die verschiedenen Möglichkeiten einer Inszenierung austauschen. So helfen wir uns gegenseitig nicht nur dabei, dass in unseren Theatern professionellere und vielfältigere Aufführungen stattfinden, sondern auch besser zu verstehen, was in anderen Theatern gespielt wird. Die unterschiedlichen Formen der Inszenierung werden so zur Quelle der Erkenntnis.
Tipp 1: Ein sehr wirksames Hilfsmittel, um meinem Kommunikationspartner zu zeigen, was in meinem Theater aufgrund seiner Beschreibung oder Erklärung ankommt, ist eine Wiederholung in eigenen Worten oder die Zusammenfassung in Form einer Skizze.
Tipp 2: Es ist oft auch hilfreich, dem Kommunikationspartner dabei zu helfen, sich vorzustellen, was in meinem Theater gespielt wird. Beispielsweise helfen dabei Fragen wie „Wie würdest Du die Situation einschätzen, wenn Du meine Rolle spielen müsstest?“ oder „Wie würdest Du die Sache bewerten, wenn folgende Bedingungen gelten?“
Tipp 3: Je mehr Sinne wir bei unserer Kommunikation ansprechen, desto offensichtlicher werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Tipp 4: Nehmen Sie die Haltung einer neugierigen, unwissenden Person ein. Diese Haltung hilft uns dabei, anderen unvoreingenommen zuzuhören. Gleichzeitig erhöht sie die Bereitschaft des Kommunikationspartners, dasselbe zu tun.
Es ist immer wieder erstaunlich, welche Vielfalt an Erfahrungen, Wissen, Ideen, Emotionen, Meinungen etc. aus den Köpfen heraussprudeln, wenn Menschen es schaffen, diese Quelle der Innovation zu erschließen.
Leider geschieht oft das Gegenteil: Unterschiede werden als Bedrohung der eigenen kleinen Theaterwelt gesehen, gegen die man sich wehren muss. Dann wird die Kommunikation zum Schlachtfeld, auf dem verbal attackiert und mit scharfer Rhetorik zurückgeschossen wird.
Bedürfnisbefriedigung als Booster der Innovation
Die Gefahr eines persönlichen Konflikts ist besonders groß, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Bedürfnisse nicht angemessen beachtet werden oder gar unter die Räder kommen könnten. Beispielsweise werden Meinungsunterschiede wechselseitig als fehlende Wertschätzung empfunden. Einwände werden als Verletzung des Selbstwertgefühls oder Unterminierung der Autorität wahrgenommen.
Das führt uns zu weiteren wichtigen Funktionen der Kommunikation: die Schaffung, Erhaltung und Steigerung tragfähiger Beziehungen zwischen Menschen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen. Menschen verbinden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Innovation mit unterschiedlichen persönlichen Zielen, Interessen und Bedürfnissen. Bei einer Person spielen Sicherheit und Stabilität eine Schlüsselrolle, bei einer anderen überwiegen die Bedürfnisse nach Veränderung und Erkenntnisgewinn, und wieder andere werden vor allem von sozialen Bedürfnissen wie Vertrauen und Loyalität getragen. Darüber hinaus schwingen bei jeder Person mehr oder weniger stark viele weitere Bedürfnisse mit.
Jede Person entwickelt ihre individuellen Empfindlichkeiten, wenn es um ihre Bedürfnisse geht. Jede Person hat auch ihre eigene Strategie, mit der sie für ihre Bedürfnisse kämpft oder sie verteidigt. Die einen tun es eher aggressiv und fordernd, die anderen eher zurückhaltend und flehend. Damit nicht genug! Die Empfindlichkeiten für die einzelnen Bedürfnisse und die Reaktionen bei ihrer Gefährdung können abhängig von Situation und Befindlichkeit stark variieren. Was an einem Tag locker weggesteckt werden kann, führt an einem anderen Tag zum emotionalen KO. Das alles hat verständlicherweise eine höchst komplexe Bedürfnis-Wechselwirkung in einem Team zur Folge. Die Art der Kommunikation ist entscheidend dafür, ob sich ein explosives Bedürfnisgemisch entwickelt, das das Team sprengt, oder ob ein für alle genießbarer Bedürfniscocktail gemischt wird, mit dem man gerne auf eine vielversprechende Zukunft anstößt.
Bedürfnisse sind unsere Energie-Quelle. Nur wenn wir glauben, dass wir durch Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel auch viele unserer Bedürfnisse befriedigen können, dann werden wir uns engagieren. Wenn sich diese Hoffnung auf dem zurückgelegten Weg zum Ziel immer wieder bestätigt, wird die Energie-Quelle für die nächsten Etappen dieses Weges weiter sprudeln. Bedürfnisorientierte und damit wertschätzende Kommunikation kann wertvolle Energie für Innovation erschließen und auf ein Ziel bündeln. Das gelingt, wenn sie Menschen auf dem Weg zum Ziel und am Ziel dabei hilft, sich gegenseitig Bedürfnisse, wie z.B. Zugehörigkeit, Anerkennung, Augenhöhe oder persönliche Entwicklung, zu erfüllen. Wir haben viele Möglichkeiten, durch unser Kommunikationsverhalten auf sehr einfache Weise wichtige Bedürfnisse zu befriedigen.
Tipp 5: Eines der besten Beispiele ist aktives Zuhören. Es bedient Bedürfnisse wie Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Empathie, Vertrauen und Selbstwirksamkeit. Gleichzeitig hilft es dabei, die Gefahr von Missverständnissen zu verringern.
Tipp 6: Eine weitere sehr hilfreiche Methode ist die Wiederholung des Gehörten mit eigenen Worten. Auch hier drücken wir nicht nur Wertschätzung aus, sondern machen Missverständnisse sichtbarer.
Tipp 7: Wenn wir Entscheidungen treffen, versuchen wir, Kriterien zu finden, die wichtigen Bedürfnissen verschiedener Teammitglieder gerecht werden. Beispiele: Wir bedienen das Bedürfnis nach Sicherheit, indem wir das Risiko der Entscheidung bewerten. Wir befriedigen das Bedürfnis nach Erkenntnisgewinn und Veränderung, indem wir den Erfahrungszuwachs einschätzen, den wir durch die Entscheidung gewinnen können.
Wir werden in den weiteren Folgen dieser Artikelreihe noch viele Beispiele für den Zauber der Worte kennenlernen. Beim nächsten Mal geht es zunächst um die wichtigsten Gestaltungselemente eines funktionierenden Innovationsprozesses.
Teil 1: Der Schlüssel zur Innovation liegt in der Gestaltung der Kommunikation
Teil 2: Der Weg durch die Zone des Ächzens und Stöhnens
Teil 3: Timing, Rhythmus, Flexibilität
Teil 4: psychologische Innovationsbremsen
Teil 5: Mitgestaltung erzeugt Mitverantwortung
Quellen und Literaturtipps zum Thema Kommunikation: Link